Im Jammertal

Dieter Weirich

Des Deutschen liebste Mauer sei die „Klagemauer“, wusste schon Otto von Bismarck, der erste deutsche Reichskanzler. Zahlreiche Untersuchungen haben ergeben, dass die Deutschen die größten Jammerer der Welt sind. In der angelsächsischen Welt kursiert der Begriff von „German Angst“.  Schwermut durchzieht die Werke vieler deutscher Literaten. Weltschmerz steht in zahlreichen Wörterbüchern als Ausdruck der Schwere des deutschen Alltags.

Diese „Jammeritis“ kann in dosierten Mengen sogar heilsam sein. Psychologen sagen, jammernde Partner geben die Verantwortung für eine gesunde Partnerschaft damit ab. Er sagt mir: “Mach Du mich glücklich“.

Im Gegensatz zu früher gibt es für ein Dasein im Jammertal inzwischen tatsächlich Gründe, die von der Energiekrise bis zur Sorge um das Einkommen und den Arbeitsplatz reichen. Umfragen zeigen allerdings auch, dass der Politik bei der Bewältigung der Krise wenig zugetraut wird.

Die Dankbarkeit für Energiespartipps von prominenten Politikern hält sich da ebenfalls in Grenzen. Der 80jährige Ex-Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble empfiehlt ein oder auch zwei Pullover, Kerzen und Taschenlampen. Die verwöhnte Gesellschaft müsse erkennen, dass „vieles nicht mehr selbstverständlich“ sei. Für den Linken Dietmar Bartsch sind solche Ratschläge „blanker Hohn“.

Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann weiß, dass man einfach mehr Zeit nachher beim Frühstück hat, wenn man statt der Dusche einen Waschlappen nutzt. Er sei ein „überzeugter Anhänger des Säureschutzmantels der Haut“. Jetzt hat seine Landesregierung mit „Cleverländ“ eine Kampagne zum Sparen von Strom, Gas und Wasser gestartet. Kretschmann dreht höchstselbst zur Nachtabsenkung an der Heizung.

Bevormunden wollen natürlich beide Politiker die Bürger nicht, überzeugender ist da das Motiv von Ex-Bundespräsident Joachim Gauck. „Frieren für die Freiheit“ zur Verteidigung auch der eigenen Demokratie ist für ihn eine überzeugende Haltung. Partnerschaftliches Kuscheln zum Energiesparen kann aber auch positive Wirkungen zur Steigerung der Geburtenrate haben. Eine Studie besagt, dass im ersten Corona-Lockdown 7,1 Prozent weniger Babys als in den Jahren zuvor gezeugt worden sind. Beiträge zur Überwindung der demographischen Krise sind da willkommen.

 

Dieter Weirich (Jg. 1944), gelernter Journalist, kommentiert jede Woche mit spitzer Feder seine Sicht auf das aktuelle Geschehen in rantlos; mit freundlicher Genehmigung der “Zeitungsgruppe Ostfriesland (ZGO)”. Weirich war von 1989 bis 2001 Intendant des deutschen Auslandsrundfunks Deutsche Welle. Zuvor gehörte er eineinhalb Jahrzehnte als CDU-Abgeordneter dem Hessischen Landtag und dem Deutschen Bundestag an, wo er sich als Mediensprecher seiner Partei und als Wegbereiter des Privatfernsehens einen Namen machte. Außerdem nahm er Führungspositionen in der PR-Branche in Hessen wahr. Weirich, der sich selbst als “liberalkonservativen Streiter” sieht, gilt als ebenso unabhängig wie konfliktfreudig.

 

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