Grünäugiger Abschied

Dieter Weirich

In der Schlussphase des niedersächsischen Wahlkampfes fragt man sich, warum die etablierten Parteien nach der gescheiterten Energiepolitik der Vergangenheit überhaupt keinen Ehrgeiz für ein nationales Sicherungsprogramm der Zukunft zeigen. Dabei geht es nicht nur um die jahrzehntelange fahrlässige Selbst-Auslieferung an die russischen Gas-Produzenten und damit Wladimir Putin. Und das sogar mit einem ehemaligen Bundeskanzler als Lobbyisten. Auch der von der ganzen Welt mit Staunen betrachtete und gerade zum Scheitern verurteilte deutsche Sonderweg des gleichzeitigen Ausstiegs aus Kohle und Kernkraft sollte eigentlich zu neuen politischen Einsichten führen.

Der gegenwärtige Bundeskanzler ist bei der Suche nach preisgünstiger Energie verständlicherweise viel in der Welt unterwegs. Er macht Bücklinge vor Autokraten in Nahost. Derweil sehnt sein Wirtschaftsminister französischen Atomstrom in alter Stärke herbei. Eine seriöse Debatte über konkrete Schritte zur Gasförderung in Deutschland findet aber nicht statt. Das Fracking-Thema wird nur mit spitzen Fingern angefasst. Dabei gibt es gerade in Niedersachsen gigantische Erdgasvorkommen, bei deren Erschließung sich Deutschland unabhängig von problematischen Märkten in der Welt machen könnte.

Die Ausbeutung von Schiefergesteinsschichten – das unkonventionelle Fracking – wurde bei uns vor über einem Jahrzehnt für tot erklärt und wird jetzt trotz großer technischer Fortschritte bei der Gewinnung nicht wieder belebt. Das Thema habe keine gesellschaftliche Akzeptanz, die Förderung sei zu gefährlich, heißt es in der Politik. Dabei gibt es grundsätzlich keine total risikolosen Energie-Gewinnungen. Und die USA haben sich mit einer entschlossenen Nutzungs-Strategie für Fracking unabhängig gemacht.

Deutschland verdrängt die Zukunft. Das zeigt auch die Debatte über die Kernenergie. Statt der groß-und hochmütigen Entscheidung, mit gnädiger grüner Zustimmung zwei der noch im Betrieb befindlichen drei Kernkraftwerke weiter laufen zu lassen, sollte man sich neue, revolutionäre Reaktor-Konzepte genau ansehen, die das Risiko eines Unfalls senken und Kernschmelzen unmöglich machen sollen. Während in Finnland und Frankreich Atomreaktoren der dritten und vierten Generation entstehen, hat sich das bei dieser Technologie in der Welt einstmals führende Deutschland grünäugig verabschiedet.

 

Dieter Weirich (Jg. 1944), gelernter Journalist, kommentiert jede Woche mit spitzer Feder seine Sicht auf das aktuelle Geschehen in rantlos; mit freundlicher Genehmigung der “Zeitungsgruppe Ostfriesland (ZGO)”. Weirich war von 1989 bis 2001 Intendant des deutschen Auslandsrundfunks Deutsche Welle. Zuvor gehörte er eineinhalb Jahrzehnte als CDU-Abgeordneter dem Hessischen Landtag und dem Deutschen Bundestag an, wo er sich als Mediensprecher seiner Partei und als Wegbereiter des Privatfernsehens einen Namen machte. Außerdem nahm er Führungspositionen in der PR-Branche in Hessen wahr. Weirich, der sich selbst als “liberalkonservativen Streiter” sieht, gilt als ebenso unabhängig wie konfliktfreudig.

 

 

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