Im grünen Rausch

Dieter Weirich

Den in joint-freudiger Erwartung demonstrierenden Teilnehmern der diesjährigen Berliner „Hanfparade“ konnte die grundsätzlich zur Legalisierung und Entkriminalisierung der Drogenpolitik entschlossene Ampel-Koalition nur begrenzt Hoffnungen machen. Wie bei anderen Gesetzen hat das Regierungsbündnis in seinen großspurigen Ankündigungen wieder einmal das Kleingedruckte übersehen.
Die Bestimmungen zur Verfolgung von Drogenkonsum in einem völkerrechtlich bindenden Abkommen von 1961 und der Schengen-Vertrag der Europäischen Union kollidieren teilweise mit den Plänen des Kabinetts. Gerade soeben hat der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages einen Verstoß gegen EU-Recht festgestellt.

Allenfalls 2024 könne man mit einem Gesetz rechnen, heißt es jetzt aus dem besonders ehrgeizigen Bundesjustizministerium, das von dem reformbeseelten Freidemokraten Marco Buschmann geleitet wird. Nicht nur die Überwindung der Rechtsvorschriften mache Mühe, es müssten auch für den Bundesrat tragbare Regelungen im Jugend-und Gesundheitsschutz sowie für den Straßenverkehr gefunden werden. Eine allzu lange Verschnaufpause fürs Kiffen brauche es aber nicht zu geben.

Wie gefährlich sich Deutschland im grün wehenden Zeitgeist verändern könnte, zeigt ein Vorstoß der sich bundesweit als alternative Avantgarde verstehenden Berliner Grünen. Sie fordern auch die Entkriminalisierung harter Party-Drogen wie Kokain, Ecstasy und Amphetamine. Das Recht auf Rausch sollte in einer „Stadt der Freiheit“ wie Berlin selbstverständlich sein. Das klappe „auch ohne die Mentalität einer bayerischen Dorfpolizei“, meinte der grüne Spitzenfunktionär Graf.

So weit allerdings geht auch die Ampel nicht. An der Cannabis-Legalisierung hält sie aber fest, wischt den Einwand von Cannabis als Einstiegsdroge beiseite. Schon jetzt erreicht Deutschland beim Konsum illegaler Drogen eine Rekordquote. 2021 ist die Zahl der Drogentoten um 15,5 Prozent auf 1826 gestiegen.

Ein Blick in die benachbarten Niederlande, wo die strikte Trennung zwischen weichen und harten Drogen im Alltag nicht mehr gegeben ist, zeigt die Abgründe einer falschen Drogenpolitik. Rauschgift-Banden beherrschen inzwischen die Unterwelt, Holland ist zum europäischen Hauptumschlagplatz des Kokainhandels geworden.

Dieter Weirich (Jg. 1944), gelernter Journalist, kommentiert jede Woche mit spitzer Feder seine Sicht auf das aktuelle Geschehen in rantlos; mit freundlicher Genehmigung der “Zeitungsgruppe Ostfriesland (ZGO)”. Weirich war von 1989 bis 2001 Intendant des deutschen Auslandsrundfunks Deutsche Welle. Zuvor gehörte er eineinhalb Jahrzehnte als CDU-Abgeordneter dem Hessischen Landtag und dem Deutschen Bundestag an, wo er sich als Mediensprecher seiner Partei und als Wegbereiter des Privatfernsehens einen Namen machte. Außerdem nahm er Führungspositionen in der PR-Branche in Hessen wahr. Weirich, der sich selbst als “liberalkonservativen Streiter” sieht, gilt als ebenso unabhängig wie konfliktfreudig.

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