Den Zeitgeist prägen!

Dieter Weirich

Beim Führungsstil werde er seine Kritiker überraschen, kündigte Oppositionsführer Friedrich Merz nach der Übernahme des CDU-Bundesvorsitzes an. Beim jetzigen 35. Bundesparteitag muss der bisher auf einem sanften Anpassungskurs an den Zeitgeist segelnde Sauerländer auf seinen Wiedererkennungswert als klarer Konservativer bei seinen Anhängern größeres Gewicht als bisher legen. In der schwierigen Balance, das Image des kantigen Haudegens abzulegen, trotzdem die „Merkelianer“ in der Partei einzubinden und sich strategisch gleichzeitig grün „aufzuhübschen“, wirkt der neue Mann an der Spitze nicht authentisch.  Das ruft in Teilen der Christdemokraten Enttäuschung hervor. Auch in Umfragen bewegen sich die erfolgsverwöhnten Unionsparteien noch immer unter der 30 Prozent-Marke.

Die an einem neuen Grundsatzprogramm arbeitende CDU braucht klare Ziele. Vor allem in der Energiepolitik, bei der Wiederbelebung der Sozialen Marktwirtschaft sowie in der Außen- und Sicherheitspolitik. Dabei handelt es sich um Themen, bei denen der Partei traditionell die größte Kompetenz vom Wähler zugewiesen wird.

Indessen: Während der von der aktuellen Situation bedrohte Mittelstand um seine Existenz ringt, beschäftigt sich die CDU mit dem leidigen Thema der Frauenquote. Der von Kontingentierung nicht begeisterte Merz, der sich jedoch, zur Befriedung der Partei, auf einen Quoten- Kompromiss eingelassen hat, muss Auseinandersetzungen, aber keine Niederlage befürchten. Die harmoniefetischistische Union folgt zum Schluss immer der Führung. Man erinnere sich an die inszenierte „Merkel-Messe“ auf dem Karlsruher Parteitag 2015, als die Funktionäre der Kanzlerin trotz ihrer über die Flüchtlingspolitik erbosten Parteibasis einstimmigen Rückhalt gab.

Merz, dessen politische Kompetenz unbestritten ist und der als Fraktionschef im Bundestag auch eine gute Figur macht, könnte bei der Schärfung des Profils der Partei also durchaus mehr wagen. Wertkonservative und Wirtschaftsliberale, die sich von der Union abgewandt haben, warten seit langem auf überzeugende Angebote für eine Rückkehr. Ein moderner und integrativer Parteivorsitzender müsste allerdings den Ehrgeiz haben, den Zeitgeist zu prägen, nicht hinter ihm herzulaufen.

 

Dieter Weirich (Jg. 1944), gelernter Journalist, kommentiert jede Woche mit spitzer Feder seine Sicht auf das aktuelle Geschehen in rantlos; mit freundlicher Genehmigung der “Zeitungsgruppe Ostfriesland (ZGO)”. Weirich war von 1989 bis 2001 Intendant des deutschen Auslandsrundfunks Deutsche Welle. Zuvor gehörte er eineinhalb Jahrzehnte als CDU-Abgeordneter dem Hessischen Landtag und dem Deutschen Bundestag an, wo er sich als Mediensprecher seiner Partei und als Wegbereiter des Privatfernsehens einen Namen machte. Außerdem nahm er Führungspositionen in der PR-Branche in Hessen wahr. Weirich, der sich selbst als “liberalkonservativen Streiter” sieht, gilt als ebenso unabhängig wie konfliktfreudig.

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