Sehnsucht nach sauren Gurken

Auror Dieter Weirich

 Mit einer durch eine Diätenerhöhung angereicherten Reisekasse geht das zahlenmäßig größte demokratische Parlament der Welt, der Deutsche Bundestag, morgen in die Sommerpause. Döste in früheren Zeiten die politische Hauptstadt zwei Monate lang wie eine schläfrige Sonntagsschulklasse vor sich hin, so sind in der vom Ukraine-Krieg, der steigenden Hungersnot in der Welt, der knapper werdenden Energie, der Inflation, dem Klima und nicht zuletzt der Corona-Pandemie geprägten Zeitenwende die nachrichtenarmen Zeiten vorbei. Nichts ist mehr wie es war. Wo immer man hinschaut, stiert einem irgendeine Krise entgegen.

Kein Wunder, dass es eine Sehnsucht nach der „Saure-Gurken Zeit“, mit der früher nachrichtenarme Zeiten beschrieben wurden, gibt. Der Begriff erinnert an Hungersnöte im 18.Jahrhundert und die frisch eingelegten sauren Gurken im brandenburgischen Spreewald. Auch „Sommerloch“ wurde der Mangel an spannenden Informationen genannt.

Um die Spalten der Gazetten trotz des Mangels an Nachrichten in dieser Zeit zu füllen, stellten sich vor allem parlamentarische Hinterbänkler als Pausenclowns zur Verfügung. So forderte, zum Beispiel, ein CSU-Mann in jedem „Sommertheater“, Mallorca als deutsches Bundesland zu kaufen. Ein beliebtes Thema war auch immer die Ehe. So verlangte eine bayerische Landrätin, solche Verbindungen auf sieben Jahre zu begrenzen, eine linke Abgeordnete plädierte gar für die Abschaffung dieser überholten Institution. Populär war zudem die Begehr einer Gewerkschaftsfunktionärin nach einer Siesta-Kultur, einer Mittagsschlafpause mit Liegen am Arbeitsplatz.

Inzwischen sind das historische Reminiszenzen. Der Schlussverkauf des Sommerlochs hat längst begonnen. Schweißtreibend war vor den Sommerferien und seiner Hochzeit für Finanzminister Christian Lindner die Kabinettsvorlage für den  Haushalt 2023. Der Freidemokrat will zur Schuldenbremse zurück, für ordnungspolitische Sittenstrenge sorgen und hat – wie ein Medium kommentierte – ein „wackliges Wunder“ geschaffen. Das Parlament wird sich das Konstrukt nach der Sommerpause vornehmen. Es dürfte die Volksvertretung kaum unfallfrei passieren.

Dieter Weirich (Jg. 1944), gelernter Journalist, kommentiert jede Woche mit spitzer Feder seine Sicht auf das aktuelle Geschehen in rantlos; mit freundlicher Genehmigung der “Zeitungsgruppe Ostfriesland (ZGO)”. Weirich war von 1989 bis 2001 Intendant des deutschen Auslandsrundfunks Deutsche Welle. Zuvor gehörte er eineinhalb Jahrzehnte als CDU-Abgeordneter dem Hessischen Landtag und dem Deutschen Bundestag an, wo er sich als Mediensprecher seiner Partei und als Wegbereiter des Privatfernsehens einen Namen machte. Außerdem nahm er Führungspositionen in der PR-Branche in Hessen wahr. Weirich, der sich selbst als “liberalkonservativen Streiter” sieht, gilt als ebenso unabhängig wie konfliktfreudig.   

 

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