Weirichs Klare Kante
„German Angst“
Die Angst ist seit jeher der Kopfputz des Zeitgeistes in Deutschland. Ob es um den Sauren Regen, die durch fortschreitende Computerisierung entstehenden Datenkraken, die digitale Überwachung oder auch den Klimawandel geht oder ging, unser Land leidet unter einer kollektiven Angststörung. „German Angst“ ist zu einer internationalen Vokabel für unsere dauernde Furcht geworden. Der Deutsche sei nur glücklich, wenn er die Chance habe, unglücklich zu sein, heißt eine von den Angelsachsen verbreitete Sottise über uns.
Dass Psychosen hierzulande zu fundamentalen politischen Kursänderungen führen, zeigt die friedliche Nutzung der Kernkraft, der als Energieform total abgeschworen wird. Nach der Nuklearkatastrophe in Tschernobyl 1986 schlossen die Deutschen Spielplätze, die schweren Störfälle 2011 in Fukushima führten zum Aus der Kernkraft.
Mit Warnungen vor einem Atomkrieg haben die apokalyptischen Reiter in diesen Tagen Hochkonjunktur. Vor allem bei jenen Politikern und Meinungsbildnern, deren politisches Bewusstsein einst unter dem Wasserwerfer erwacht ist, sieht man die deutsche Zurückhaltung bei Waffenlieferungen für die Ukraine mit einem Mal als moralische Pflicht.
Russische Politiker bedienen mit ihrer hybriden Kriegsführung, in der die Warnungen vor atomaren Attacken zum gängigen Arsenal gehören, die deutsche Gefühlswelt. Dass Frieden ohne Waffen geschaffen werden könne, glauben nach Putins brutalem Angriffskrieg gegen die Ukraine nicht einmal mehr die aus der pazifistischen Bewegung hervorgegangenen Grünen. Ein „Scheinfriede“ unter russischen Bedingungen würde den Ukrainern die Freiheit rauben, ihr Leben selbst zu bestimmen.
Statt in deutschland- und ostpolitische Restromantik zu verfallen, sollte sich vor allem die SPD an Helmut Schmidt erinnern, der die Nachrüstung der NATO entschlossen mit durchsetzte und so aktive Friedenspolitik betrieb. Nur glaubwürdige Abschreckung macht nämlich den Frieden sicherer, stärkt die Freiheit. Politik der Stärke statt opportunistischem Wankelmut heißt deshalb die Devise.+
Dieter Weirich (Jg. 1944), gelernter Journalist, kommentiert jede Woche mit spitzer Feder seine Sicht auf das aktuelle Geschehen in rantlos; mit freundlicher Genehmigung der “Zeitungsgruppe Ostfriesland (ZGO)”. Weirich war von 1989 bis 2001 Intendant des deutschen Auslandsrundfunks Deutsche Welle. Zuvor gehörte er eineinhalb Jahrzehnte als CDU-Abgeordneter dem Hessischen Landtag und dem Deutschen Bundestag an, wo er sich als Mediensprecher seiner Partei und als Wegbereiter des Privatfernsehens einen Namen machte. Außerdem nahm er Führungspositionen in der PR-Branche in Hessen wahr. Weirich, der sich selbst als „liberalkonservativen Streiter” sieht, gilt als ebenso unabhängig wie konfliktfreudig.
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