„Obstkur“ gegen Wahlmüdigkeit

Autor Dieter Weirich

Krieg, Bedrohung, Unsicherheit – in solchen Zeiten ist Politik besonders auf die Loyalität der eigenen Bürger angewiesen. Es kommt geradezu einem massiven Vertrauensentzug gleich, wenn sich bei der jüngsten Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen nahezu die Hälfte der Wähler erst gar nicht an der Abstimmung beteiligt hat.

Nennen wir sie die „NWPD“, die Nichtwählerpartei-Deutschlands. Sie verfehlte im bevölkerungsreichsten Bundesland nur knapp die absolute Mehrheit, holte mehr Stimmen als CDU, SPD und Grüne zusammen. Über die Bewertung des Ergebnisses durch diverse Kommentatoren musste man sich danach nur wundern. Die CDU sei zurück, hieß es da. Weit gefehlt. Die Partei wird zwar künftig regieren, doch sie egalisierte nur ihr mieses Ergebnis bei der vorangegangenen Bundestagswahl. Die Grünen avancierten zur Volkspartei, war eine gängige Meinung. Tatsächlich sieht das Resultat die Ökopartei nach wie vor als eine Klientelpartei in urbanen Zentren. Dass die Volksparteien ein Comeback gefeiert hätten, ist eine ebenso irrige Analyse. Die absoluten Zahlen jedenfalls geben das nicht her.

Die zunehmende Wählerverdrossenheit muss Sorgen bereiten. Die Demokratie wird hierzulande von rund 80 Prozent als beste Staatsform gesehen, mit dem praktischen politischen Handeln ist aber gerade einmal die Hälfte einverstanden. Das Reservoir der Nichtwähler hat sich in vier Jahrzehnten verdreifacht.

Ein renommierter Publizist hat unsere Demokratie einmal mit einem Apfelbaum verglichen: “Schon alt, relativ gut gewachsen, aber krankheitsanfällig“. Immer mehr Menschen seien mit der Qualität der Früchte unzufrieden. Als Obst-Kur schlägt er Volksentscheide vor.

Nichtwähler sind ein heterogenes Gemisch, das von verärgerten Parteianhängern über allgemein Desinteressierte, Enttäuschte „über die da oben“ bis zu Gruppen reicht, die unsere Staatsform grundsätzlich ablehnen. Hochburgen von Nichtwählern sind häufig in sozialen Prekariaten zu finden.

Was also tun, um die Wahlmüdigkeit zu überwinden? Es gibt keine Patentrezepte. Dem Wunsch nach mehr Transparenz und direkter Demokratie sollte Rechnung getragen werden, auch ein gezielteres Werben um die Jungwähler, die Erleichterung der Briefwahl und die Zusammenlegung von Landtagswahlen auf Bundesebene könnten die Wahlbereitschaft erhöhen

Dieter Weirich (Jg. 1944), gelernter Journalist, kommentiert jede Woche mit spitzer Feder seine Sicht auf das aktuelle Geschehen in rantlos; mit freundlicher Genehmigung der “Zeitungsgruppe Ostfriesland (ZGO)”. Weirich war von 1989 bis 2001 Intendant des deutschen Auslandsrundfunks Deutsche Welle. Zuvor gehörte er eineinhalb Jahrzehnte als CDU-Abgeordneter dem Hessischen Landtag und dem Deutschen Bundestag an, wo er sich als Mediensprecher seiner Partei und als Wegbereiter des Privatfernsehens einen Namen machte. Außerdem nahm er Führungspositionen in der PR-Branche in Hessen wahr. Weirich, der sich selbst als “liberalkonservativen Streiter” sieht, gilt als ebenso unabhängig wie konfliktfreudig.   

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