Am Steuerrad angekommen

Autor Dieter Weirich

„Ich brauche Munition, keine Mitfahrgelegenheit“. Mit diesem Satz lehnte der ukrainische Ministerpräsident Wolodymyr Selenskyj nicht nur das Angebot der Amerikaner rundweg ab, ihn aus dem vom russischen Diktator Putin angezettelten Krieg auszufliegen, er beschämte auch die bei Waffenlieferungen zu diesem Zeitpunkt noch zurückhaltenden Deutschen.

Die Suche nach „Mitfahrgelegenheiten“, das prägte über lange Zeit die deutsche Sicherheitspolitik. Bei internationalen Krisen ließ man andere für sich die Kastanien aus dem Feuer holen, zückte das Scheckbuch als Ersatz für die Entsendung von Soldaten, baute auf die Schutzmacht USA, der man als „Weltpolizist“ gleichzeitig moralische Ermahnungen nicht ersparte. Diese bequeme Zuschauerrolle legitimierte man stets mit der deutschen Geschichte, die besondere Sensibilität bei Waffengängen gebiete.

Mit der Wiedervereinigung wurde die Republik in der Sicherheitspolitik zwar erwachsener, richtete verstärkt den Blick auf die Krisenherde in dieser Welt, die Bundeswehr beteiligte sich im Rahmen der NATO an Auslandseinsätzen. Gleichzeitig wurde die Armee aber kaputtgespart, mangelhaft ausgerüstet. Das Ziel, zwei Prozent des Bruttosozialproduktes für die Landesverteidigung auszugeben, wurde vor allem von den Linken und den Grünen in Frage gestellt.

Seit dem 27. Februar ist alles anders. Bundeskanzler Olaf Scholz hat eine 180 Grad-Wendung in der Sicherheitspolitik vollzogen. 100 Milliarden Euro soll die Bundeswehr über ein Sondervermögen zur Verfügung bekommen. Deutschland schüttelt damit den Ruf des unsicheren Kantonisten bei Waffenlieferungen und Sanktionen ab, schwingt sich vom Beifahrersitz ans Steuerrad.

Die Grünen brauchen offenkundig immer grauenerregende Bilder, um ihre pazifistischen Wurzeln zu verdrängen. Kämpfte Außenminister Joschka Fischer 1999 mit dem Verweis auf „Nie wieder Auschwitz“ für einen Kriegseinsatz der Bundeswehr im Kosovo, erkennt jetzt Anna Lena Baerbock, dass die für ihre Freiheit kämpfenden Ukrainer moralischen Anspruch auf Waffen haben.

Die Ampel-Koalition kann bei der Durchsetzung der Ankündigungen von Scholz auch auf die Opposition bauen, die auf eine Neuausrichtung der gesamten Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik drängt.

Dieter Weirich (Jg. 1944), gelernter Journalist, kommentiert jede Woche mit spitzer Feder seine Sicht auf das aktuelle Geschehen in rantlos; mit freundlicher Genehmigung der “Zeitungsgruppe Ostfriesland (ZGO)”. Weirich war von 1989 bis 2001 Intendant des deutschen Auslandsrundfunks Deutsche Welle. Zuvor gehörte er eineinhalb Jahrzehnte als CDU-Abgeordneter dem Hessischen Landtag und dem Deutschen Bundestag an, wo er sich als Mediensprecher seiner Partei und als Wegbereiter des Privatfernsehens einen Namen machte. Außerdem nahm er Führungspositionen in der PR-Branche in Hessen wahr. Weirich, der sich selbst als „liberalkonservativen Streiter” sieht, gilt als ebenso unabhängig wie konfliktfreudig. 

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