Pferdewechsel im Strom

Autor Dieter Weirich

Mindestens so wichtig wie das Sitzfleisch, das Winston Churchill als   Voraussetzung für politischen Erfolg ansah, ist in der Parteiendemokratie die Nase politischer Akteure. Der richtige Riecher für innerparteiliche Entwicklungen, die Witterung für gegnerische Angriffe, ins Blut übergegangene Abwehrinstinkte, das begründet den Nimbus führender politischer Streiter.

Volker Bouffier, Deutschlands dienstältester CDU-Ministerpräsident aus Hessen, wurde dieses besondere Gespür immer nachgesagt, hatte es aber seit seinem bescheidenen Ergebnis bei der letzten Landtagswahl 2018 verloren. Als treuer Paladin von Angela Merkel unterstützte er bei den Kampfabstimmungen um den Parteivorsitz zuerst Annegret Kramp-Karrenbauer und dann Armin Laschet. Seine eher konservativ gestrickte Landespartei war wie sein Vorgänger Roland Koch für Friedrich Merz, der im dritten Anlauf nun Oppositionsführer ist.

Besonders übel nimmt ihm die Partei seine Geschmacksverirrung als „Kanzlerkandidaten-Macher“ für Laschet, der sich nach einem unterirdischen Wahlkampf und einer historischen Niederlage auf die Hinterbänke des Bundestages verabschiedet hat. Seinen bayerischen Kollegen Markus Söder sieht Bouffier, Presseberichten zufolge, am „liebsten von hinten“.

Der 70 Jahre alte hessische „Merkelianer“ unterschätzte in arroganter Demoskopiegläubigkeit die SPD und ihren Bewerber Scholz. Wie die meisten   Unions-Granden glaubte auch Bouffier, die SPD werde das „Tal der Tränen“ nicht verlassen und unter 20 Prozent bleiben.

 Bei einer Funktionärskonferenz der hessischen CDU in Fulda hat sich eine neue Ära angekündigt. Bouffier kündigte seinen Rücktritt als Ministerpräsident und Landeschef an um der Nachfolgelösung – Landtagspräsident Boris Rhein – genügend Zeit zur Profilierung bis zur Landtagswahl 2023 zu geben. Ein Pferdewechsel mitten im Strom, der angesichts einer dünnen schwarz-grünen Parlamentsmehrheit Risiken, aber auch Chancen birgt.

Der Nachfolger des  Gießener Juristen muss auf jeden Fall das Profil der unter Alfred Dregger und Roland Koch erfolgreichen Landespartei wieder schärfen, ihren liberalkonservativen Markenkern herausstellen. In aktuellen Umfragen liegt die CDU hinter der SPD und gleichauf mit den Grünen.

Dieter Weirich (Jg. 1944), gelernter Journalist, kommentiert jede Woche mit spitzer Feder seine Sicht auf das aktuelle Geschehen in rantlos; mit freundlicher Genehmigung der “Zeitungsgruppe Ostfriesland (ZGO)”. Weirich war von 1989 bis 2001 Intendant des deutschen Auslandsrundfunks Deutsche Welle. Zuvor gehörte er eineinhalb Jahrzehnte als CDU-Abgeordneter dem Hessischen Landtag und dem Deutschen Bundestag an, wo er sich als Mediensprecher seiner Partei und als Wegbereiter des Privatfernsehens einen Namen machte. Außerdem nahm er Führungspositionen in der PR-Branche in Hessen wahr. Weirich, der sich selbst als „liberalkonservativen Streiter” sieht, gilt als ebenso unabhängig wie konfliktfreudig. 

- ANZEIGE -