Weirichs Klare Kante
Falschfahrer

Wer kennt sie nicht, die Karikatur, wo ein selbstgewisser älterer Herr seiner Frau die auf der gleichen Spur entgegenkommenden Autos mit dem Ausruf: “Schau mal Schätzchen, wie viel Falschfahrer heute unterwegs sind“, erklärt. Dieses Bild erinnert derzeit an die deutsche Energiepolitik. Der in Berlin eingeschlagene Weg, aus Kernenergie, Öl und Gas gemeinsam auszusteigen und diese Linie als beispielgebend für die ganze Erde auszugeben, wird von eben diesem Rest der Welt bestaunt und belächelt.
Der Glaube, dass am deutschen Wesen die energetische Welt genesen werde, ist begrenzt. Die Zweifel an einer erneuerbaren Vollversorgung, die gleichzeitig umweltverträglich, finanzierbar und versorgungssicher ist, wachsen indessen auch hierzulande. War die radikale Energiewende nach dem extremen Seebeben im Pazifik im März 2011 und der hastige Ausstieg aus der Kernkraft richtig? Obwohl nach einem Sondergutachten der Reaktorsicherheitskommission „in Deutschland ein Fukushima praktisch ausgeschlossen war”, unser Land bei der Nukleartechnologie international führte und glänzende Exportgeschäfte machte?
In der von Anti-Atomkraft-Parolen beherrschten Stimmungsdemokratie wurde die größte CO_2-arme Stromquelle kurzerhand ausgeknipst. Fortan sollten es Solarstrom und Windkraft richten. Gleichzeitig wollte Deutschland seinen Energieverbrauch durch die Effizienz steigernde Maßnahmen halbieren.
Inzwischen wächst bei vielen Mitbürgern die Einsicht, dass der Ausstieg aus der Kernkraft, die der Weltklimarat der Vereinten Nationen im Kampf gegen den Klimawandel verstärkt eingesetzt sehen will, ein Fehler war. Unser Nachbar Frankreich möchte, dass die Nuklearenergie als CO_2 freie und nachhaltige Energie anerkannt und von der EU zur Förderung freigegeben wird. Gleichzeitig arbeitet Paris wie einige weitere Staaten an kleineren, sicheren Kernreaktoren ohne nennenswerte Abfallprobleme. Von diesen technologischen Fortschritten sind wir jetzt abgeschnitten.
Stattdessen begeben wir uns als energiepolitische Falschfahrer in immer mehr Abhängigkeit. Mit den Gas-Milliarden für Putin machen wir uns erpressbar. Der Import von Atomstrom aus Frankreich und der Kohleverbrennung aus Polen raubt dem deutschen Sonderweg ohnehin jede Glaubwürdigkeit.
Dieter Weirich (Jg. 1944), gelernter Journalist, kommentiert immer donnerstags mit spitzer Feder seine Sicht auf das aktuelle Geschehen in rantlos; mit freundlicher Genehmigung der “Zeitungsgruppe Ostfriesland (ZGO)”. Weirich war von 1989 bis 2001 Intendant des deutschen Auslandsrundfunks Deutsche Welle. Zuvor gehörte er eineinhalb Jahrzehnte als CDU-Abgeordneter dem Hessischen Landtag und dem Deutschen Bundestag an, wo er sich als Mediensprecher seiner Partei und als Wegbereiter des Privatfernsehens einen Namen machte. Außerdem nahm er Führungspositionen in der PR-Branche in Hessen wahr. Weirich, der sich selbst als “liberalkonservativen Streiter” sieht, gilt als ebenso unabhängig wie konfliktfreudig.
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