Weirichs Klare Kante
„Rühr mich nicht an“

Es gibt eine Pflanze, die bei Erschütterung, schneller Abkühlung oder auch Erwärmung mit dem Einklappen ihrer Blätter reagiert. Die Rede ist von der Mimose, die auf diese Weise ihre Beleidigung ausdrückt. „Rühr mich nicht an“, heißt sie. Auf den gleichen Namen hören in Märchen Brennnesseln, vor deren stacheligen Stängeln und kitzelnden Haaren man sich in Acht nehmen sollte. Im Garten sind sie ein Unkraut, in der Medizin ein Heilmittel.
„Rühr mich nicht an“ ist inzwischen nicht nur in der Flora anzutreffen, sondern längst zu einer fragwürdigen Erscheinung im politischen Alltag geworden. So soll sich der Entertainer Harald Schmidt für ein Bild rechtfertigen, das ihn auf einem Berliner Sommerfest mit dem Ex-Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen und dem konservativen Journalisten Matthias Matussek zeigt. Ist Schmidt nach rechts abgebogen, fragt eine Berliner Tageszeitung. Sein früherer Kollege, der Komiker Klaas Heufer-Umlauf kritisiert den Umgang mit „Aussortierten“, ein in seiner spaltlerischen Wirkung kaum zu übertreffender Sprachgebrauch. Schmidt gab sich gelassen, ihm sind solche Anwürfe egal, er geht dahin, wo er will.
In die gleiche Kategorie gehört die maßlose Kritik an Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer, der bei einer Ungarn-Reise ein Referat bei einem regierungsnahen Institut zugesagt hat. Ohne den Inhalt von Palmers Ausführungen zu kennen, tönte es bereits aus der SPD, das sei ein „No Go“ und eine „Anbiederung an die äußerste Rechte“.
Wie gefährlich es ist, sich mit AFD-Politikern abbilden zu lassen, musste vor Jahren schon der Chef der Filmförderung im schwarz-grünen Hessen erfahren. Er wurde nach einem Treffen mit dem damaligen AfD-Chef Meuthen gefeuert, wobei natürlich andere Gründe ins Feld geführt wurden.
Wie soll denn ein zivilisierter Umgang garantiert werden, wenn politische Gegner zum geächteten Feind erklärt werden und ein Austausch der Argumente erst gar nicht versucht wird? Wer von „Aussortierten“ spricht, erhebt für den selbst ernannten Mainstream den Anspruch, Schmuddelkinder und Tabu-Zonen zu definieren. Wer nur Kommunikation in der eigenen Blase pflegt, betreibt geistige Inzucht. Über die Spaltung in der Gesellschaft sollte er sich jedenfalls nicht beklagen.
Dieter Weirich (Jg. 1944), gelernter Journalist, kommentiert jede Woche mit spitzer Feder seine Sicht auf das aktuelle Geschehen in rantlos; mit freundlicher Genehmigung der “Zeitungsgruppe Ostfriesland (ZGO)”. Weirich war von 1989 bis 2001 Intendant des deutschen Auslandsrundfunks Deutsche Welle. Zuvor gehörte er eineinhalb Jahrzehnte als CDU-Abgeordneter dem Hessischen Landtag und dem Deutschen Bundestag an, wo er sich als Mediensprecher seiner Partei und als Wegbereiter des Privatfernsehens einen Namen machte. Außerdem nahm er Führungspositionen in der PR-Branche in Hessen wahr. Weirich, der sich selbst als „liberalkonservativen Streiter” sieht, gilt als ebenso unabhängig wie konfliktfreudig.