Weirichs Klare Kante
Sommerliche CDU-Eigentore
Bei der Bundeswehr ist die Selbstverstümmelung strafbewehrt. Schießt sich ein Soldat beim Waffenreinigen ins Knie, kann er vielleicht mit der Fürsorge und dem Mitleid seiner Liebsten rechnen, ein Strafverfahren der Armee ist dagegen nicht auszuschließen. Gäbe es eine solche Praxis in der Politik, wären vor allem Christdemokraten bedroht.
Eigentlich könnte sich die Union als Opposition eine hochsommerliche Siesta gönnen und von der Rückkehr auf die Regierungsbänke träumen, ist die Ampel-Regierung doch auf dem Tiefstand ihres Ansehens angelangt. Der sprichwörtliche Esel geht aber auch bei brütender Hitze gerne aufs Eis. Schon immer gilt für die „Bürgerlichen“, dass sie in der Sacharbeit träge und bequem sind, dafür aber umso munterer in der Personalpolitik werden.
Ohne Not stellte kürzlich der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Henrik Wüst, Bundestags-Oppositionsführer Friedrich Merz indirekt als Kanzlerkandidaten in Frage. Eine Breitseite gegen Merz fuhr auch der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Günther.
In ihrer panischen Angst vor dem Tod bei einem weiteren Erstarken der AfD scheinen Teile der Union in Thüringen zum Selbstmord bereit. Mike Mohring will sich für Gespräche mit der Linken öffnen. Ein ebenso untaugliches Rezept hat Marco Wanderwitz, er will die AfD schlicht verbieten, statt sie politisch zu bekämpfen. Mehr Illusion geht nicht.
Einen Sturm im Wasserglas hat Merz jetzt selbst entfacht, als er im ZDF-Sommerinterview bei kommunalen AfD-Erfolgen dafür plädierte, demokratische Wahlen zu akzeptieren und im Zusammenwirken das Beste für die Gemeinde zu erreichen. Seine innerparteilichen Gegner sahen darin einen Tabubruch, unterstellten ein Bröckeln der Brandmauer gegen die politischen Rechtsaußen. Um seinen pragmatischen Ansatz zu erklären, geriet er in die Defensive.
Dabei waren die letzten Wochen ja ganz gut gelaufen. Mit Carsten Linnemann hatte Merz seinen besten Mann als „General“ an die Front geschickt. Nur wenn die Union in der zweiten Hälfte der Legislatur diszipliniert und geschlossen auf ihre Wirtschaftskompetenz und das Thema Migration setzt, hat sie bei der nächsten Bundestagswahl Chancen. Voraussetzung ist, dass weitere sommerliche Eigentore unterbleiben.
Dieter Weirich (Jg. 1944), gelernter Journalist, kommentiert jede Woche mit spitzer Feder seine Sicht auf das aktuelle Geschehen in rantlos; mit freundlicher Genehmigung der “Zeitungsgruppe Ostfriesland (ZGO)”. Weirich war von 1989 bis 2001 Intendant des deutschen Auslandsrundfunks Deutsche Welle. Zuvor gehörte er eineinhalb Jahrzehnte als CDU-Abgeordneter dem Hessischen Landtag und dem Deutschen Bundestag an, wo er sich als Mediensprecher seiner Partei und als Wegbereiter des Privatfernsehens einen Namen machte. Außerdem nahm er Führungspositionen in der PR-Branche in Hessen wahr. Weirich, der sich selbst als “liberalkonservativen Streiter” sieht, gilt als ebenso unabhängig wie konfliktfreudig.