Dieter Weirich

Gerneklein , ganz groß

Staatsgäste zeigten sich in Zeiten der Bonner Republik zumeist überrascht und beeindruckt von der deutschen Bescheidenheit. Das zu den größten Volkswirtschaften der Welt gehörende Land kam in seiner Repräsentation ohne jeden Pomp und Protz aus. Bonn stand schließlich für Adenauer und den rheinischen Kapitalismus, nicht für Preußens Gloria. Das schaffte Sympathie, ließ den Aufstieg der Nation nach dem Zweiten Weltkrieg im milden Licht der Selbstbescheidung erscheinen. Deutschlands selbstgewählte Rolle als „Gerneklein der Weltpolitik“ wurde so auch optisch unterstrichen.

Dass mit dem Umzug von Regierung und Parlament in die Hauptstadt Berlin und die Belegung historischer Stätten durch die neue Administration eine neue und auch finanziell herausfordernde Zeit anbrechen würde, war jedem klar.  Mit dem neuen Kanzleramt entstand aber in Berlin ein Beton-Riese, über dessen gestalterische Schönheit man streiten kann. Mit Spitznamen für ihre markanten Bauten sind die Berliner kreativ. „Waschmaschine“ nennen sie den Kanzlerbau, der Fernsehturm heißt “Tele-Spargel“, den Funkturm haben sie „langen Lulatsch“ getauft, und das Haus der Kulturen ist „Die schwangere Auster“.

Was jetzt aber mit Erweiterung des Kanzleramtes geplant ist und ohne großes Murren das Parlament passierte, ist deutlich kritikwürdig. 400 Büros, Wintergärten und ein Hubschrauberlandeplatz sollen auf dem 50.000 Quadratmeter großen Komplex entstehen. Baustart ist im Frühjahr 2023, die Fertigstellung 2028 anvisiert. Ursprünglich sollte das Großprojekt 457, jetzt 777 Millionen Euro kosten. Dabei wird es nicht bleiben. 200 Bäume müssen dafür ihr Leben lassen, Neupflanzungen erleichtern das schlechte Gewissen.

Bundeskanzler Scholz überhöht das Vorhaben historisch. Das Band des Bundes verlaufe quer zu Hitlers geplanter größenwahnsinniger, faschistischer Prachtstraße. Allerdings muss man sich fragen, ob das Vorhaben in eine Zeit leerer Kassen und wachsender Armut passt. Der neue Dienstsitz des Kanzlers ist achtmal so groß wie das Weiße Haus in Washington, zehnmal größer als der britische Regierungssitz und dreimal größer als der Pariser Elysee-Palast. Auch fragt man sich, ob die opulenten Büros die raumsparende Zukunft des hybriden Arbeitens einberechnet haben.

 

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