In der heißen Phase

Autor Dieter Weirich

Konrad Adenauer, Ludwig Erhard, Kurt Georg Kiesinger, Helmut Kohl und Angela Merkel – die meisten Wahlkämpfe hat die Union als die angestammte Regierungspartei der Nachkriegszeit mit dem Slogan: „Auf den Kanzler kommt es an“ bestritten. Für die Bundestagswahl am 26. September brauchen sich die Spin-Doktoren der Partei um keine gendergerechte Lösung bemühen, denn Angela Merkel macht nach 16 Regierungsjahren Schluss. Ihre damit zugleich auch letzte Große Koalition müht sich auf den letzten Metern, beschwört ihren Durchhaltewillen und macht gleichzeitig Wahlkampf gegeneinander.

Die letzten hundert Tage eines Wahlkampfes werden gern als die „heiße Phase“ bezeichnet. Sieht man von den tropischen Temperaturen ab, spürt man davon freilich wenig. Ein virtueller Wahlkampf, der weithin im Internet entschieden wird und in dem die Beifallsstürme des Publikums durch Likes ersetzt werden, lässt schwerlich aufgeheizte Stimmungen zu.  Andererseits ist allerdings auch wenig Bereitschaft zum Wechsel im Land zu verspüren.

Ein Wahlkampf ohne volle Hallen, dröhnende Marschmusik und Bierkeller-Polemik hat für die Spitzenkandidaten der Volksparteien auch seine Vorteile. Weder Armin Laschet noch Olaf Scholz verfügen über Charisma; sind sie auf Großkundgebungen doch beide in der Lage, ihre Anhänger in den Schlaf zu singen.

Die Unionsparteien stellen jetzt als letzte der politischen Gruppierungen ihr Wahlprogramm vor. Man kann von der Ankündigung von Steuerentlastungen für mittlere und niedrigere Einkommen ausgehen, doch angesichts des nach der Pandemie zu erwartenden, riesigen Haushaltsdefizits dürften solche Wohltaten alle unter Finanzvorbehalt gestellt werden.

Hauptgegner von CDU und CSU sind die Grünen, die auf Landesebene bereits in elf Bundesländern mitregieren und im föderalistischen Deutschland längst Mitregierungspartei sind. Ihr vor allem auf den Klimawandel reduzierter Wahlkampf könnte von den flächedeckenden Hitzewarnungen dieser Tage mitbefeuert werden.

Die Gegner der Ökopartei gehen mit dem Narrativ der grünen Verbotspartei, die einer Klimareligion huldigt und die Menschen umerziehen möchte, auf Wählerfang. Dabei ist freilich auch viel Heuchelei im Spiel, sind doch beispielsweise die steigenden Preise für Heizöl und Benzin eine schlichte Folge des Klimaschutzgesetzes der Großen Koalition.

 Für die Union ist klar, dass die Merkel´sche „asymmetrische Demobilisierung“ ausgedient hat. Möglichst spät Wahlkampf zu führen, die eigenen Anhänger dezent mobilisieren und den Gegner nicht wachrütteln – diese mit den Worten „Alles schläft, Mutti wacht“ beschriebene, oft erfolgreiche Konzeption hat sich überholt.

Alle Parteien stehen unter großem Zeitdruck. Corona wird zu einer Rekordbeteiligung unter Briefwählern führen. Die Unterlagen hierfür werden schon Anfang August verschickt. Höchste Eisenbahn, um das Bewusstsein der Wähler zu erreichen.

Dieter Weirich (Jg. 1944), gelernter Journalist, veröffentlicht jeden Montag mit spitzer Feder seine Sicht auf das aktuelle Geschehen in rantlos; mit freundlicher Genehmigung der “Frankfurter Neuen Presse”. Weirich war von 1989 bis 2001 Intendant des deutschen Auslandsrundfunks Deutsche Welle. Zuvor gehörte er eineinhalb Jahrzehnte als CDU-Abgeordneter dem Hessischen Landtag und dem Deutschen Bundestag an, wo er sich als Mediensprecher seiner Partei und als Wegbereiter des Privatfernsehens einen Namen machte. Außerdem nahm er Führungspositionen in der PR-Branche in Hessen wahr. Weirich, der sich selbst “als liberalkonservativen Streiter” sieht, gilt als ebenso unabhängig wie konfliktfreudig. 

 

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