Weirich am Montag
Weise Vorauswahl – damals
In den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts gab es in der hessischen CDU einen Kreis von honorigen, lebenserfahrenen Persönlichkeiten, die bei der Auswahl von Abgeordneten für Bund und Land ein gewichtiges Wort mitredeten. Die Union war im damals „tiefroten Hessen“ bei der Entsendung von Abgeordneten vor allem auf die Landesliste angewiesen. Die Rangliste dieses „Rates der Weisen“ war neben der Beachtung des Regionalproporzes also durchaus entscheidend für die Karriere von Bewerbern.
Der Rat machte sich nicht nur ein Bild über das Wissen der Kandidaten zur deutschen Geschichte. Vor allem interessierte er sich für die charakterliche Eignung und die Unabhängigkeit der Volksvertreter in spe. Nicht selten wurde den Mandats-Anwärtern empfohlen, sich vor dem Start zum Berufspolitiker doch noch ein paar Jahre im erlernten Beruf zu bewähren. Denn: Wer sich für das Gemeinwohl engagiere, lebe vor allem für und nicht in erster Linie von der Politik.
Junge Abgeordnete in den siebziger Jahren, auch ich, spotteten über diesen „Kandidaten-TÜV“ der Vergangenheit. Heute weiß ich, dass die vorwiegend alten, weißen Männer und auch Frauen weise Gutachter waren. Man könnte das damalige Verfahren als gelebte Compliance, also die Einhaltung von Rechtstreue und Regelkonformität, werten. Wichtig ist dabei immer die Verpflichtung der Führung zur Überwachung ihrer Standards.
Wenn Bayerns Ministerpräsident Markus Söder als Reaktion auf die (nur Verachtung verdienenden) „Masken-Raffkes“ in der CSU von gegenwärtigen und künftigen Volksvertretern Integritätserklärungen verlangt, sich für die Offenlegung von Nebentätigkeiten einsetzt, Bestechlichkeit künftig vom Vergehen zum Verbrechen hochstufen will, dann zieht er glaubwürdige Konsequenzen aus dem Skandal. Vermischung von Mandat und Geschäft sollte künftig unmöglich gemacht werden, ohne dass man Mittelständler und Freie Berufe gleich abschreckt.
Die Union hat zwar kein strukturelles Amigo-Problem wie ihr von der SPD und den Grünen vorgeworfen wird, von Verfilzung ist sie aber trotz wohlklingender Verhaltenskodizes nicht frei. Ein unnachsichtiger Saubermann wie Söder weiß das, was seine Kompromisslosigkeit erklärt.
Vor allem kommt auch der Parteibasis und ihren Delegierten bei einer richtigen Auswahl der Bewerber besondere Bedeutung bei. Wenn ein CDU-Kandidat – wie in Mannheim geschehen – ungeniert mit einer Provision bei Maskengeschäften wirbt und damit sein Mandat offen kommerzialisiert, müssen sich seine Parteifreunde fragen, wen sie da nach Berlin entsandt haben. Cleverness hat mit Anstand oft nichts zu tun.
Besondere Vorsicht haben karrieregeile Jungdynamiker auf ihrem Weg ins Parlament verdient. Ohne berufliche Absicherung und wirtschaftliche Unabhängigkeit stricken sie oft an ihrer Karriere, sind ein Risiko für ihre Partei und sich selbst.
Dieter Weirich (Jg. 1944), gelernter Journalist, veröffentlicht jeden Montag mit spitzer Feder seine Sicht auf das aktuelle Geschehen in rantlos; mit freundlicher Genehmigung der “Frankfurter Neuen Presse”. Weirich war von 1989 bis 2001 Intendant des deutschen Auslandsrundfunks Deutsche Welle. Zuvor gehörte er eineinhalb Jahrzehnte als CDU-Abgeordneter dem Hessischen Landtag und dem Deutschen Bundestag an, wo er sich als Mediensprecher seiner Partei und als Wegbereiter des Privatfernsehens einen Namen machte. Außerdem nahm er Führungspositionen in der PR-Branche in Hessen wahr. Weirich, der sich selbst “als liberalkonservativen Streiter” sieht, gilt als ebenso unabhängig wie konfliktfreudig.
Schreibe einen Kommentar