Dieter Weirich

Weirichs Klare Kante

Politisch besonders interessierte Zeitgenossen werden sich die mit Spannung geradezu überladene Nacht um die Ohren schlagen, um sich die Wahlen zum 60. US-Präsidenten und der gleichzeitigen Bestimmung von 435 Abgeordneten zum Repräsentantenhaus sowie 35 von 100 Senatoren nicht entgehen zu lassen. Es wird ein enges Rennen zwischen der Vizepräsidentin Kamala Harris und dem ehemaligen Amtsinhaber Donald Trump.

Unvergessen bleibt für mich polit-nostalgisch eine Beobachter-Rolle als junger CDU-Bundestagsabgeordneter auf einem Parteitag der US-Republikaner, die damals – angesichts ihrer streng antikommunistischen und marktwirtschaftlichen DNA – eine Art „Bruderpartei“ der Union waren. Noch heute habe ich (freilich auch in die Jahre gekommene) republikanische Freunde aus dieser Zeit. Nahezu alle sind sie unglücklich über die Entwicklung ihrer Partei. Die einst so noble „Grand Old Party“ (GOP) hat sich inzwischen dem erratischen und mit der Wahrheit auf dem Kriegsfuß stehenden Narziss Trump ausgeliefert.

Dennoch halte ich die These, bei der Wahl in Amerika gehe es um die Aufrechterhaltung der Demokratie, weil unter Trump eine autoritäre Herrschaft mit faschistischen Zügen drohe, für eine Übertreibung. Kein Ergebnis der Präsidentenwahl wird die bewährte staatliche Gewaltenteilung mit der Kontrolle von Verfassungsorganen, dem gewollten Gleichgewicht zur Stärkung der Freiheit, außer Kraft setzen.

Wer auch immer gewinnt, Europa und besonders Deutschland müssen sich aber auf Veränderungen einstellen. Washingtons Fokus auf den pazifisch-asiatischen Raum dürfte noch akzentuierter werden, das transatlantische Verhältnis an Aufmerksamkeit einbüßen, Forderungen an Europa sind vor allem in der Sicherheitspolitik zu erwarten. Die USA, die sich immer mehr von der Rolle des Weltpolizisten verabschieden und auch auf der weltpolitischen Bühne an Bedeutung verlieren, möchten mehr Engagement der Europäer für deren eigene Sicherheit sehen. Für die Deutschen bedeutet dies, die eigene Verteidigungsfähigkeit wirksamer zu sichern, was teuer und unbequem wird. Die US-Wahl wird auf alle Fälle ein Weckruf für die Zeitenwende.

Dieter Weirich (Jg. 1944), gelernter Journalist, kommentiert jede Woche mit spitzer Feder seine Sicht auf das aktuelle Geschehen in rantlos; mit freundlicher Genehmigung der “Zeitungsgruppe Ostfriesland (ZGO)”. Weirich war von 1989 bis 2001 Intendant des deutschen Auslandsrundfunks Deutsche Welle. Zuvor gehörte er eineinhalb Jahrzehnte als CDU-Abgeordneter dem Hessischen Landtag und dem Deutschen Bundestag an, wo er sich als Mediensprecher seiner Partei und als Wegbereiter des Privatfernsehens einen Namen machte. Außerdem nahm er Führungspositionen in der PR-Branche in Hessen wahr. Weirich, der sich selbst als „liberalkonservativen Streiter” sieht, gilt als ebenso unabhängig wie konfliktfreudig.

 

 

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