Gisbert Kuhn

 Von Gisbert Kuhn

Das war schon ein verblüfftes Erwachen bei uns in Deutschland nach dem 24. Februar vorigen Jahres. An dem Tag, also, als Wladimir Putins Panzer in die Ukraine rollten und seine Flugzeuge, Hubschrauber und Kampfdrohnen  begannen, nicht nur Wohnhäuser und Fabriken in Schutt und Asche zu legen, sondern auch sehr gezielt in Krankenhäusern, Theatern und Bahnhöfen Zivilisten direkt zu bombardieren. Wer hätte denn auch mit so etwas rechnen können? Na gut – manche Medien mögen ja schon seit Monaten immer wieder einmal darauf hingewiesen und entsprechende Fotos veröffentlicht haben, dass an den ukrainischen Grenzen massive russische militärische Kräfte konzentriert werden. Aber ist es denn nicht nur allzu verständlich gewesen, dass man bei so einem Typen wie Putin eher annehmen musste, er habe nur die Muskeln gezeigt? So nach dem Motto: Ich will doch nur spielen. Und dann macht der doch tatsächlich Ernst…

Zugegeben, diese Worte sind Satire. Nein, eigentlich triefen sie von bitterem  Sarkasmus. Denn sie entspringen halt auch (und nicht zuletzt) jener gehörigen Portion Frust, die meist auftritt, wenn man sich vorkommt wie der berühmte erfolglose Rufer in der Wüste. Weil man hier das bittere Ergebnis erleben muss von jahrelangem, ganz offensichtlich im Nichts verhallten Mahnen, dass die Welt mit dem Ende des Ost/West-Gegensatzes und der (scheinbaren) Auflösung des Kommunismus´ 1989/90 zwar ohne Zweifel die Chance hatte, in eine friedvollere Zukunft zu steuern. Wohlgemerkt, eine Chance. Von einer Garantie war nie die Rede.

Und nun plötzlich das Kriegsgewitter in voller Dröhnung mit Bomben und Granaten. Es fällt wirklich schwer, nicht immer wieder in Sarkasmus zu verfallen. Denn es war doch keineswegs allein die in jahrzehntelangen Nicht-Kriegs-Dekaden der (freilich auch da schon) rauen globalen Umwelt entwöhnte Gesellschaft dem Blütenbild von einer den Erdball umspannenden Freundschaft zwischen nur noch friedliebenden Menschen verfallen. Dem größten Teil der elektronischen und gedruckte Medien kann dieser Vorwurf genauso wenig erspart bleiben. Eher sogar noch weniger. Schließlich ist doch gerade der journalistische Berufszweig wie kaum ein anderer dazu berufen, sich Dinge nicht schönzureden, sondern genau hinzusehen, exakt zu analysieren und schließlich möglichst nahe am wirklichen Geschehen orientiert zu berichten.

Gewiss, es hat auch dort immer (nennen wir sie) „Realisten“ gegeben. Indes war es in den vergangenen 30 Jahren stets erheblich leichter, mit einem aufbauenden Stück über die „Friedensdividende“ erstens überhaupt und zweitens größeren Raum bei Sendezeiten und Zeitungsspalten zu bekommen als mit einer warnenden Analyse über die unverkennbare russische Aufrüstung öder das völlig unverhohlen auf chinesische Weltherrschaft zielende Projekt der „Neuen Seidenstraße“.  Außen- und mit dieser verbundene Sicherheitspolitik? Schon seit den frühen 90-er Jahren des vergangenen Jahrhunderts spielte solcherart Denken in der Öffentlichkeit sowieso keine und im polit-medialen Geschehen immer weniger eine wichtige Rolle. Sozialpolitik war das Entscheidende. Wobei, um der Wahrheit die Ehre zu geben, mit der Bewältigung  der immer größer werdenden Flüchtlingsströme aus Nah- und Mittelost sowie zunehmend auch aus Zentralafrika natürlich wachsende Anstrengungen verlangt wurden.

Das dafür (und für versprochene innenpolitische Wohltaten) nötige Geld lieferte ja die erwähnte Friedensdividende. Waren wir denn nicht schließlich, erstmals in unserer Geschichte, umgeben nur von Freunden? Kurzum – als finanzieller (mitunter auch personeller) gesellschaftspolitischer Steinbruch wurde seit rund drei Jahrzehnten von sämtlichen, wie auch immer politisch gefärbten Regierungen und den sie tragenden Parteien bequemerweise die Bundeswehr genutzt. Das schien durchaus in Ordnung so. Immerhin war – logisch nach der deutschen Weltkriegs-II-Erfahrung – die Armee ohnehin nie so richtig von der Allgemeinheit angenommen worden. Als dann auch noch die vertraglich vereinbarte Verkleinerung zu Schwieirigkeiten führte, alle Wehrpflichtigen vernünftig unterzubringen, war der Weg zur „Aussetzung“ der Wehrpflicht nicht mehr weit und durchaus von öffentlichem Applaus begleitet.  Dass der „bewaffnete Arm“ des Staates damit noch weiter von der breiten Bevölkerung entfernt wurde – wen störte es? Allerdings und ganz abgesehen davon: Käme jemand auf die Idee, die Feuerwehr wirkungslos zu machen, bloß weit es seit geraumer Zeit nicht mehr gebrannt hat?

Alles Geschichte, Schnee von gestern, lasst uns nach vorn schauen. Weil ja schließlich: „Zeitenwende”. Alles recht, wären da nur nicht die Scharen von Politikern und auch journalistischen Beobachtern, denen Realpolitik à la Putin offensichtlich mit einem Male die Augen geöffnet hat. Und natürlich sind auch die Schuldzuweisungen gleich parat. Unerhört, schallt es vor allem aus dem oppositionellen CDU/CSU-Lager, dass man die Bundeswehr dermaßen „kaputt gespart“ hat, sie  also quasi „verkommen“ ließ. Dass die  gegenwärtige Berliner Regierungs-Ampel bei diesem Thema bedeutend leisere Töne von sich gibt – geschenkt. Aber dass sich aus der medialen Ecke mit einem Mal empörte, vorwurfsvolle Kommentatoren nach außen wagen, ist schon fast komisch. Vor allem, weil es größtenteils dieselben „Edelfedern“ und „Leitmedien“ sind, die sich seit einem Jahr nicht genug darüber wundern können, in welch erbärmlichem Zustand sich die deutschen Streitkräfte befinden – dieselben Stimmen also, die sich bis zum 24. Februar 2022, ungeachtet der sich längst weltweit zusammenbrauenden Wolken, geradezu darin überbot hatten, das hohe Lied vom ewigen Frieden und von Wandel durch Handel zu singen.

Es habe halt, hört man jetzt vereinzelt als Erklärung für die eigenen historischen Fehleinschätzungen , auch an Warnungen von außen gefehlt. Wirklich? Es kann doch wohl nicht überraschen, dass sämtliche früher einmal unter sowjetischer Fuchtel befindlichen Länder – von den drei Baltischen Staaten über Polen und die Ukraine (ausgenommen Orbans Ungarn) – massiv vor den deutschen (!) Gasgeschäften und den direkten Ostsee-Pipelines gewarnt hatten. Die brüske Reaktion aus Berlin: Das geht die doch gar nichts an. Weniger rot (auch das sei eingeräumt) blinkten die Warnlichter vis à vis China. Hier überwog ganz einfach die nackte Gewinngier. Und selbst jetzt noch, da Peking ja nun wirklich völlig ungeschminkt mit der Kappung von Lieferketten bereits seine Stärke demonstriert, investieren deutsche Unternehmen wie die BASF und VW geradezu atemberaubend hohe Summen im Reich der Mitte. Und vergrößern damit natürlich die ohnehin bereits bestehende wirtschaftlich wie politische Abhängigkeit.

Sind wir denn noch zu retten?

Gisbert Kuhn ist Journalist und war über viele Jahre innenpolitischer Korrespondent für zahlreiche Zeitungen sowie Mitarbeiter bei Rundfunk und Fernsehen in Bonn und Brüssel.     

   

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