Trauerspiel der Demokraten
Man fasst es nicht! Das Entsetzen über die unglaublichen Gewaltausbrüche sich „links“ nennender Horden beim G-10-Gipfel in Hamburg ist noch Allen gegenwärtig, die Bilder von Verwüstung, Plünderung und brennenden Autos sind Millionen von Bürgern noch vor Augen – und da üben diejenigen, die doch gewählt wurden, um den Staat zu lenken und (ihrem Amtseid folgend) Schaden vom deutschen Volk abzuwenden, nicht etwa den solidarischen Schulterschluss. Also, wenigstens die Politiker der bereits über Jahrzehnte als demokratisch ausgewiesenen Parteien. Nein, stattdessen hat sofort ein peinliches Gezerre mit geradezu absurden Schuldzuweisungen begonnen und teilweise bizarren Versuchen von Verniedlichung des von langer Hand vorbereiteten, also gezielten, Terrors.
Immer dieselbe Sprechblase
Lassen wir zunächst einmal die zu erwartenden Sympathie-, Solidaritäts- und Verständnisbekundungen der mehrfach umgetauften SED-Jünger namens „Die Linke“ und – leider – auch aus Richtung mancher Grünen beiseite. Dass aber der Hamburger CDU (auch wenn sie dort in der Opposition ist) nichts Dümmeres einfällt, als – praktisch noch im Qualm brennender Autoreifen – den Rücktritt von Bürgermister Olaf Scholz zu fordern, ist erbärmlich. Mit Sicherheit ist bei den Planungen in der Vorbereitungszeit des G-20-Gipfels der Grad der Zerstörungs-Entschlossenheit des „Schwarzen Blocks“ unterschätzt worden, wahrscheinlich hat es auch Pannen und Fehler beim Polizei-Einsatz gegeben. Dass dies alles aufgeklärt werden muss, dass – hoffentlich – Lehren für die Zukunft daraus gezogen werden, ist eigentlich selbstverständlich. Und vielleicht gilt es auch, personelle Konsequenzen zu ziehen.
Dies ist jedoch wirklich nicht die vordringlichste Aufgabe jetzt. Und schon gar sollten Politiker endlich einmal Abstand davon nehmen, immer wieder sofort dieselben Sprechblasen („Rücktritt!“) platzen zu lassen, die doch nichts anderes sind als Ausdruck der Unfähigkeit zu überzeugendem, eigenem Handeln. Die eigentliche Frage, der man sich endlich widmen müsste, lautet: „Was ist los in Deutschland?“ „Hamburg“ ist ja nicht, unerwartet wie ein Tsunami, plötzlich über die Hansestadt, ihre Bewohner, ja unsere gesamte Gesellschaft gekommen. Die „Schwarze Flora“, das Schanzenviertel, die inzwischen schon traditionellen Mai-Randalen an der Elbe, dazu die „autonomen“ Viertel in Berlin und die „No-go-Stadtteile“ von Duisburg, Dortmund und anderswo – das gehört doch schon seit Jahren zum alltäglichen geduldeten Geschehen in Deutschland.
Normal wie Sonne und Regen?
Eben, das ist es! Wir als Gesellschaft, unsere Öffentlichkeit, wir haben uns längst daran gewöhnt. Nicht wenige Zeitgenossen sehen darin sogar eine Art von Multi-Kulti-Folklore – so normal und gewohnt wie Sonne und Regen. Und der Staat mit Bund und Ländern (Bayern einmal ausgenommen) lässt seine Repräsentanten bei jeder Gelegenheit zwar stereotyp von Null-Toleranz und garantierter Sicherheit schwadronieren. Aber gleichzeitig sieht er so gut wie tatenlos zu, wie seine oberste Pflicht gegenüber den Bürgern – das Gewaltmonopol – immer mehr schwindet. In den Anfangsjahren der Bundesrepublik gab es – über die Parteigrenzen hinweg – eine beschworene und auch eingehaltene Gemeinsamkeit: „Keine Freiheit für die Feinde der Freiheit“. Die Gründungsväter und –mütter wussten, wovon sie redeten; sie hatten 12 Jahre Nazi-Diktatur erlebt, nicht wenige waren sogar Überlebende von Konzentrationslagern.
Gemessen daran hat sich viel verändert in Deutschland. Um präzise zu sein – es ist eine Menge schief gelaufen und tut dies noch immer. Dass dem grundgesetzlich garantierten Recht der Bürger zu Protesten und Demonstrationen politisch und gerichtlich ein hoher Wert beigemessen wird, ist natürlich richtig und zu begrüßen. Aber sollte das nicht auf der anderen Seite eine Selbstverständlichkeit beinhalten? Nämlich: Dass jede Art von Gewalt zu unterbleiben habe! Mittlerweile, indessen, hat sich selbst in der Berichterstattung der Medien und damit auch im allgemeinen Sprachgebrauch eingebürgert, dass von „weitgehend friedlich“ die Rede ist, wenn „nur“ Scheiben zu Bruch gehen und parkende Autos beschädigt werden. Von den wöchentlichen Pyro-Exzessen in den Fußballstadien gar nicht zu reden. Man liest allenfalls von gewalt“bereiten“ Gruppen – so als wäre das brutale Losgehen auf Andere nur so etwas wie eine „ultima ratio“, wenn es gar nicht anders geht. Tatsächlich aber sind die zur Gewalt e n t s c h l o s s e n, also von vornherein darauf bedacht. Das ist ein ziemlicher Qualitäts-Unterschied und nicht nur sprachliche Haarspalterei.
Schuld haben immer die Anderen
Nun also das Debakel von Hamburg. Mit Ausnahme der schwarz verkleideten Vandalen und Feuerleger selbst, sollte man wenigstens meinen, müsste doch die Ablehnung dieser Orgien an Zerstörung einhellig sein – mithin nicht zuletzt auch jene Gutwilligen einschließen, die ihre Sorgen um die Zukunft der Erde nachvollziehbar den Mächtigen der Welt vor Augen (und Ohren) bringen möchten. Denn deren Anliegen werden von den marodierenden Linksfaschisten ja gleich mit auf den Müll in den Straßen geworfen. Trotzdem, jedoch, tun sich große Teile von ihnen schwer, sich von den Gewalttätern nicht nur verbal zu, sondern sich auch wirklich zu distanzieren. Das Geschwurbel der meisten Repräsentanten aus dem Kreis der selbst ernannten Welt- und Menschenretter ist jedenfalls nur schwer nachzuvollziehen. Geradezu rührend wirkt in diesem Zusammenhang die Klage des graubärtigen Hamburger Alt-Schanzlers und Ex-Anwalts der „Roten Flora“, Andreas Beuth, man sympathisiere doch mit den Demonstranten. Warum tobten die sich im „eigenen Viertel“ aus?!
Damit, allerdings, unterscheiden sich die Sympathisierer kaum von dem Heer der „Versteher“ aus Politik und Medien. Also jener, die – je nach Standort und Wortgewalt – Verständnis für die „Verzweiflung“ der Menschen auf den Straßen aufbringen. Und wenn die Dinge aus dem Ruder laufen, ist natürlich immer die andere Seite dafür verantwortlich. Also: Der Staat, die Behörden und damit letztlich die Polizei. Dass ein Staat, eine Regierung, internationale Konferenzen und Zusammenkünfte einberufen und organisieren muss – wer sagt denn so etwas? Ja, wo kommen wir denn da hin? Anders herum wird argumentiert. Wie konnte man denn auf den absonderlichen Gedanken kommen, ausgerechnet Hamburg mit seiner „Szene“ dafür auszusuchen! Beispiel? Spiegel online zitiert (unkommentiert) einen, namentlich nicht genannten, Kriminalisten mit den Worten, die Politik habe die „alleinige Verantwortung an den Krawallen, weil ein G-20-Gipfel dort nie hätte stattfinden dürfen“. Man muss sich das einmal auf der Zunge zergehen lassen – die schwarzen Kriminellen trifft keinerlei Schuld an dem, was sie angerichtet haben. Warum hat man sie denn provoziert und ihnen eine Bühne geboten?
Ein öffentlich-rechtlicher Sender
Beispiel Norddeutscher Rundfunk, der öffentlich-rechtliche Sender NDR. Dort war bei „Panorama“ unter der Überschrift „G-20 – Will die Polizei Hamburg in Schutt und Asche legen?“ zu lesen: „Es fällt zur Zeit wirklich schwer, nicht an eine Verschwörung zu glauben. An einen geheimen Plan der Hamburger Polizei, um die Stadt in rauchende Trümmer zu verwandeln“. Gar keine Frage, es ist natürlich Aufgabe nicht zuletzt der Medien, besonders in heiklen Situationen genau hinzuschauen, ob der Staat die Regeln von Recht, Gesetz und Ordnung wahrt. Aber es ist ebenso unbestreitbar, dass zumindest in Teilen der Presseorgane eine zunehmende Feindseligkeit gegenüber der Politik und – insbesondere – der Polizei zu Tage tritt. Dabei wird, interessanterweise, den Sicherheitsbehörden in aller Regel vorgeworfen, nicht hart genug gegen Rechtsextremismus vorzugehen, während deren „linke Entsprechung“ (Antifa, Autonome, Rote Flora) von der medialen Beobachtung weitgehend ausgeklammert ist.
Was also läuft hier falsch im Lande? Warum bringen ausgerechnet Gruppierungen, die sich selbst gern als friedensbewegt und pazifistisch einordnen, so häufig Sympathie für Gewalt auf? Genauer: Für Gewalt, die mit politisch links motiviert wird. Es gibt, weiß Gott, gute Gründe, die rechtsextreme Brut und alle faschistischen Tendenzen genau zu beobachten. Aber Faschismus ist immer extremistisch – also auch auf der Linken. Man stelle sich bloß einmal vor, dieselben Kurz-und-Klein-Schlägereien wie soeben in Hamburg wären von „rechten“ Gewalttätern“ begangen worden. Wie viele Gegendemonstranten wären jetzt wohl auf den Straßen?! Zu Recht. Stattdessen fällt der bisherigen Bundesfamilienministerin und – seit neuestem – Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, Manuela Schwesig, nichts Dümmeres ein, als linke Gewalt zu einem „aufgebauschten Problem“ zu verniedlichen.
Brennende Autos – na und?
Dass der sozialdemokratische Sympathieträger aus Kiel, Ralf Stegner (also der mit den stets fröhlich nach unten gezogenen Mundwinkeln), sich in den (un)sozialen Medien kräftig an dieser Art Vermischung von Tätern und Opfern beteiligt, wen wundert´s. Zwar kann er die, ja mit veritablen Mordversuchen an Polizisten verbundenen, Exzesse von Hamburg nicht ganz aus dem Bewusstsein streichen. Indessen: „Ideologisch gesehen, ist die Verherrlichung von Gewalt eher rechte Gesinnung“. Wie bitte? „Eher“? Also gibt es doch auch eine linke Verherrlichung? Diese, zumindest, Mini-Erkenntnis dürfte Stegners Wunsch-Koalitionärin Katja Kipping vermutlich gar nicht gefallen. Ihre Darstellung des Hamburger Geschehens liest sich schließlich so: „Die Polizei lässt ihre Hundertschaften durch die Straßen der Hansestadt marodieren und schikaniert Menschen, die es wagen, Bier zu trinken und im Zelt zu schlafen. Die Eskalation geht eindeutig von den Behörden aus“.
Das passt natürlich genau in den Duktus des „Neuen Deutschland“. Weiß noch jemand von den heute Jüngeren, dass jene Zeitung einst das Organ der SED war, also der allmächtigen Staatspartei der DDR? Die heutige „Linke“, deren Ko-Vorsitzende die oben zitierte Katja Kipping ist, findet es (Achtung!) kritikwürdig, dass sich die Menschen so sehr über brennende Autos aufregen: „Der Nationalfetisch Auto ist mehr noch als Hymne und Flagge unabdingbar – als ein symbolisches Zentrum kleinbürgerlicher Aufstiegsideologie. Wer Autos anzündet, stellt exakt die Lebensentwürfe in Frage, in denen der Besitz des Autos eins ist mit Erfolg, Dazugehören und Glück im Winkel“. Es lohnt sich, das wenigtens kurz im Bewusstsein nachwirken zu lassen.
Starker oder schwacher Staat?
Sind diese Zitate nur Meinungsäußerungen aus den Rändern des politischen Spektrums? Wenn dem so wäre, könne man relativ beruhigt zur Tagesordnung übergehen. Doch Vorsicht. Die schrecklichen Vorgänge von Hamburg und deren öffentliches Nachspiel offenbaren Entwicklungen in der Gesellschaft, die zu erheblicher Besorgnis Anlass geben. Wenn der Staat weiterhin das Entstehen von Parallelgesellschaften zulässt, tatenlos sogar massive Verstöße gegen Recht und Gesetze hinnimmt, ja diese mitunter sogar beifällig begleitet – dann wird das, was in Hamburg geschah, vielleicht sogar schon eines nicht allzu fernen Tages zur Tagesordnung gehören.
Gisbert Kuhn