Von Günter Müchler

Dr. Günter Müchler

Sie hat ihr Projekt betrieben wie die Markteinführung eines neuen Schokoriegels. Kaskaden von Ankündigungen, Herstellung eines Spannungsbogens, Interviews, Buchveröffentlichungen, schließlich die Feier der Offenbarung. Für jemanden, der einmal die „Kommunistische Plattform“ der PDS verkörperte, besitzt Sarah Wagenknecht eine erstaunliche Affinität zu Methoden des „kapitalistischen“ Marketings. Was mindestens ebenso sehr erstaunt, ist, dass sie die in ihren Kreisen verbreitete Vorliebe für kollektivistische Organisationsformen so gar nicht teilt. Das „Bündnis Sarah Wagenknecht“ ist eine Solonummer, die man in Handlungsanleitungen für sozial- oder christdemokratische Nachwuchspolitiker nicht finden würde.

Mit ihrer inszenierten Andersartigkeit war die 54-Jährige schon immer ein Magnet für die Medienöffentlichkeit. Stets im hochpreisigen Kostüm, mit Ohrgehängen, die man nicht auf Woolworths Wühltisch findet, dazu das dunkle, in einem altmodischen Dutt versammelte Haar straff nach hinten gekämmt, wirkt die Dame Sarah Wagenknecht wie einem westdeutsch-bürgerlichen Wohnzimmer der sechziger Jahre entsprungen. Als Linke fällt sie aus der Norm, als Ostdeutsche auch. In ihrem Parteiumfeld – zuerst SED, später PDS, dann Die Linke – war sie stets eine Außenseiterin. Diese Rolle schaufelte ihr viel Aufmerksamkeit zu. Orchideen sind in der biederen Botanik der SED-Nachfolger eine Ausnahme.

Erst als Wagenknecht anfing, laut über eine Spaltung der Linksaußenpartei nachzudenken, verwandelte sich der Stolz des Milieus auf die intellektuelle Freischwimmerin in anhaltenden Ärger. Über viele Monate fuhr sie mit ihren Parteigenossen gleichsam Schlitten. Kein Wunder, dass jene, die der Linken verblieben sind, jetzt die Erleichterung von Menschen zeigen, die sich von einem Albtraum befreit fühlen. Viel geblieben ist nicht mehr von der Linken, der zeitweise starken „Ost-Partei“. Die Schutzrolle der von westdeutschen Übernahme-Kapitalisten Entrechteten trägt nicht mehr. Als Auffangbecken für Frust und Trotz ist sie von der AfD abgehängt   worden. Wahlschlappen in Serie haben die Hoffnung auf ein Comeback als Handlungsmacht in weite Ferne gerückt.

 Im Bundestag sitzt die Linke ohnehin nur, weil sie bei der Wahl 2021 drei Direktmandate holte, was reicht, um das Reißen der Fünf-Prozent-Hürde wettzumachen. Was gereicht hat, muss man hinzufügen. Denn die rettende Grundmandatsklausel wird wegfallen, sollte die Ampel mit ihrer höchst problematischen Wahlrechtsreform in Karlsruhe durchkommen – was freilich niemand hoffen kann. Viel spricht dafür, dass sich die Partei (die unverändert Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg huldigt und neuerdings auch Wladimir Putin), sich nicht einmal mehr aussuchen kann, welchen Tod sie stirbt. Für den Fall, dass die neun Partei-Spalter um Sarah Wagenknecht trotz ihres Partei-Austritts ihre Mandate behalten (womit zu rechnen ist), verliert die Linke im Bundestag den Fraktionsstatus. Der Exitus wäre in diesem Fall auch ohne die problematische Wahlrechtsreform wohl unvermeidlich.

Sollte Wagenknecht mit ihrer neuen Partei Erfolg haben, wären die Folgen beträchtlich. „Die Parteien wirken bei der Willensbildung des Volkes mit“. Der Wortlaut von Artikel 21 des Grundgesetzes ist ein krasses Understatement. Ohne die Parteien läuft in der repräsentativen Demokratie nichts. Ihre Stärke entscheidet darüber, wer in Regierung und Gesetzgebung Unter ist und wer Ober – für einen begrenzten Zeitraum, versteht sich. Erweitert sich der Kreis der Parlamentsparteien, verändert sich das Kräfteparallelogramm. Platzhalter verlieren Sitze, Mehrheiten sind schwerer zu erreichen, neue Bündnismöglichkeiten tauchen auf. Das war in den achtziger Jahren so, als die Grünen der Dreisamkeit von CDU/CSU, SPD und FDP ein jähes Ende bereiteten. Und es wiederholte sich mit dem Einzug von PDS/Die Linke. Das seismische Beben, erzeugt von der AfD, ist noch in vollem Gange.

Die Wagenknecht-Partei könnte ein regelrechtes Verkehrschaos im Bundestag heraufbeschwören. Sie wäre, wenigstens am Anfang, mit Sicherheit ein Darling der Medien. Welches Lager am meisten von ihr befürchten müsste, beschäftigt im Moment die Kaffeesatzleser. Es könnte die AfD sein; Federn lassen würde sicher die gespaltene Linke und vielleicht auch die SPD. Union und FDP wären wohl am wenigsten gefährdet, aber sicher ist auch das nicht. Ein ganz großes Fragezeichen ist hinter das Potential zu setzen. Als Eine-Frau-Veranstaltung wäre die Strahlkraft der Partei begrenzt. Viel hängt von der Programmatik ab. Wagenknecht zieht mit drei Parolen durch die Lande: Gegen eine „Außenpolitik des erhobenen Zeigefingers“, gegen „blinden, planlosen Öko-Aktivismus“ und gegen „ungezügelte Zuwanderungspolitik“.

Das dreifache „gegen“ charakterisiert die klassische Protestbewegung. Im Dagegensein erschöpft sich auch das erklärte Wollen der AfD. Inhaltlich könnte die Rechtsaußenpartei alle drei Forderungen unterschreiben. Auch sie ist gegen eine „Außenpolitik des erhobenen Zeigefingers“, im Klartext für Putin. Beim Klimaschutz (gegen „blinden, planlosen Öko-Aktivismus“) sitzt sie eindeutig im Bremserhäuschen. Einwanderung ist auch für sie vom Teufel. „Les extrêmes se touchent“, sagt man in Frankreich, die Extreme berühren sich. Die innenpolitische Konstellation im Nachbarland könnte eine Blaupause für das Neue sein, das mit einer Wagenknecht-Partei die deutsche politische Wirklichkeit „bereichern“ würde.

Hierzulande hat man nur eine Vorstellung von der weit rechts operierenden Le-Pen-Partei Rassemblement Nationale (RN). Dagegen wird oft übersehen, dass es in Frankreich auch am linken Rand eine nationalistische Gruppierung gibt. La France insoumise, was so viel heißt wie „Das widerspenstige Frankreich“, wird von Jean-Luc Mélenchon geführt und ist ähnlich stark wie es die Lepenisten sind. Die Partei kombiniert Sozialismus in der Wirtschafts- und Sozialpolitik mit einer Ablehnung der Europäischen Union, der, wie Mélenchon behauptet, Frankreichs nationale Interessen geopfert würden. Dass Oskar Lafontaine, Wagenknechts Ehemann (!), Mélenchon und seine sozial-nationalistische Bewegung schätzt, gibt Einblicke frei.

Eine sozial-nationalistische Partei wäre für die Bundesrepublik neu und keineswegs chancenlos. Zunächst muss sie allerdings Form annehmen. Bis auf weiteres ist das „Bündnis Sahra Wagenknecht“ ein Verein, dem die Transformation in eine Partei noch bevorsteht. Ob es dazu kommt, ist ungewiss. Das Scheitern Wagenknechts 2018 mit ihrer Sammlungsbewegung „Aufstehen“, ist kein gutes Omen für sie. Zudem gehört Organisation nicht zu den herausragenden Talenten der Dame im Retro-Look. Ein Härtetest mit K.o.- Charakter für Sarah Wagenknecht wäre nicht so sehr die Europawahl im Juni. Die wirkliche Probe aufs Exempel wäre der ostdeutsche Landtags-Dreier im Herbst. Landete sie bei den Wahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen unter ferner liefen, wäre das wohl Wagenknechts Karriereaus.

Dr. Günther Müchler ist Journalist, Politik- und Zeitungswissenschaftler, war viele Jahre Korrespondent in Bonn und zum Schluss Programmdirektor beim Deutschlandfunk.   

 

 

     

 

 

  

      

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