Von Wolfgang Bergsdorf

Autor Wolfgang Bergsdorf

Erst zum dritten Mal wird am 22. August dieses Jahres der „Internationale Tag zum Gedenken an die Opfer von Gewalttaten aus Gründen der Religion und des Glaubens“ begangen. Die Vereinten Nationen haben diesen Gedenktag in einer Resolution 2019 eingerichtet. Damit wollten sie deutlich machen, dass die Mitgliedstaaten und auch die Zivilgesellschaften niemals Gewalt, auch nicht aus religiösen Motiven, tolerieren wollen und können. Der Entwurf wurde von Polen eingebracht und von den Vereinigten Staaten, Kanada, Brasilien, Ägypten, Irak, Jordanien, Nigeria und Pakistan unterstützt. Angeregt wurde diese Initiative durch „Kirche in Not“, einer päpstlichen Stiftung der katholischen Kirche, die seit nunmehr zwei Jahrzehnten einen globalen Überblick über den tatsächlichen Stand der Religionsfreiheit in den Ländern dieser Erde vorlegt.

Gesamtbild ist unerfreulich

Der neueste Bericht verbucht zwar einzelne Erfolge bei der Durchsetzung der Religionsfreiheit in wenigen Ländern, aber das Gesamtbild ist unerfreulich bis deprimierend. Diskriminierung und sogar Verfolgung aufgrund religiöser Überzeugungen sind global wachsende Phänomene. Zwei Drittel der Weltbevölkerung, das sind 5,2 Milliarden Menschen, leben in Ländern, in denen Verletzungen der als Menschenrecht verankerten Religionsfreiheit in manifesten oder manchmal auch fluiden Formen auftreten. Christen sind hierbei inzwischen die am stärksten verfolgte Gemeinschaft. Seit 2018 wurden in 30 Ländern Menschen aus religiösen Gründen ermordet – auch hier waren es zumeist Christen.

Lang ist die Aufzählung der Länder, die religiöse Minderheiten mit Gewalt verfolgen. Dazu gehören China und Nordkorea, in denen marxistisch inspirierte autoritäre Regierungen herrschen, aber auch viele afrikanische und muslimische Länder mit autoritären Regierungen und islamistischem Extremismus. Auf der Liste der Staaten, in denen religiöse Minderheiten diskriminiert und mit gelegentlicher Gewalt konfrontiert werden, finden sich Kuba, Ägypten und Irak (mit Verbesserungen seit 2018), aber auch die Türkei, Tunesien und Singapur (mit Verschlechterungen seit 2018). Eine weitere Kategorie nennt der Bericht „Länder unter Beobachtung“. Das sind Staaten, in denen neu auftretende Faktoren beobachtet wurden, die das Potenzial haben, einen vollständigen Zusammenbruch der Religionsfreiheit zu verursachen. Auf dieser Liste stehen Südafrika, Ruanda, Mexiko, Philippinen, Weißrussland, Russland und die Ukraine.

Produkt einer Privatinitiative

Der Bericht „Religionsfreiheit weltweit“ ist natürlich kein offizielles Dokument der Vereinten Nationen, sondern die Initiative einer privaten Stiftung, die diesen weltweiten Überblick über die Gefährdungen dieses elementaren Menschenrechtes zum 22. Mal erarbeitet hat. Das Projekt gelang nur mit der Hilfe einer Vielzahl von Experten aus allen Ländern der Welt, die dieses „verminte“ Gelände immer wieder neu vermessen. Im neuesten Bericht wurden die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie auf die Religionsfreiheit hin untersucht. Hier legten die Autoren der Studie vor allem ihr Augenmerk auf die Suche nach den Sündenböcken als Auslöser der Pandemie. Und diese „Schuldigen“ sind – wie in der Geschichte nahezu immer – schnell ausgemacht.

Im Internet war – zum Beispiel – oftmals zu lesen, dass Juden den Ausbruch verursacht hätten, in Indien bekamen muslimische Minderheiten die Schuld zugewiesen, in China, der Türkei, Niger und Ägypten wurden die Christen für die Pandemie verantwortlich gemacht. Darüber hinaus wurden bereits bestehende gesellschaftliche Vorurteile gegenüber religiösen Minderheiten verstärkt. So verweigerten zum Beispiel in Pakistan muslimische Wohltätigkeitsorganisationen den Christen und auch Angehörigen anderer Minderheiten Nahrungsmittelhilfe und medizinische Versorgung. Neben der Stigmatisierung religiöser Gruppen als Auslöser der Pandemie und der Verweigerung von humanitärer Hilfe ist vor allem in den Ländern der Sahelzone festzustellen, wie die Dschihadisten die Überforderung der staatlichen Strukturen durch die Pandemie dazu genutzt haben, neue Rekruten zu finden. Die Pandemie wurde in ihrer Propaganda als „Strafe Gottes“ für den dekadenten Westen bezeichnet, weshalb sie sich selbst immun gegen das Virus fühlten, zumal ihnen ohnehin ein sicherer Platz im Paradies zugesichert wurde.

Trotzdem ein erfreuliches Signal

Dass die Vereinten Nationen der Religionsfreiheit und ihren zahllosen Gefährdungen eine so hohe Bedeutsamkeit zumessen, ist trotzdem ein erfreuliches Signal. Auch die Europäische Union beteiligt sich sehr intensiv an diesen Anstrengungen. Aus dem Budget der EU-Kommission wurden mehr als 20 Millionen Euro für Projekte zur Verfügung gestellt, die der Gefährdung der Religionsfreiheit weltweit nachgehen. Es ist sicherlich auch diesem neuen Schwerpunkt der Vereinten Nationen zu verdanken, dass viele westliche Staaten, darunter auch Deutschland, Botschafter-Posten für die Religionsfreiheit eingerichtet haben.

Religiös motivierte Gewalt existiert, seitdem es Religionen gibt. Immer tobten in der politischen Geschichte bewaffnete Konflikte und langwierige Kriege, in denen politische und religiöse Motive miteinander vermischt wurden. Das bekannteste Beispiel hierfür ist der Dreißigjährige Krieg in Europa in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Der Kampf gegen religiös motivierte Gewalt wird im 21. Jahrhundert allerdings schwieriger als zuvor, weil die Religionen in allen Teilen der Welt (mit Ausnahme von Europa) erstarken, vor allem ihre fundamentalen Strömungen zunehmen und mit ihnen die partielle Gewaltbereitschaft in nicht wenigen Religionsgruppen wächst. Das Auftreten religiös angetriebener Selbstmordattentäter und anderer Terroristen und neue bewaffnete Konflikte „im Namen Gottes“ können als Indizien für die Größe der Herausforderung angesehen werden, das friedliche Nebeneinander unterschiedlicher Glaubenswelten zu organisieren.

Die Welt als „globales Dorf“

In einer Welt, die durch Kommunikation und Migration immer mehr zum globalen Dorf geworden ist, leben Religionen heute näher beieinander und geraten schneller aneinander als in früheren Zeiten, in denen sie in geschlossenen Kulturräumen ohne intensive gegenseitige Berührung existierten. Daraus erwachsen Probleme, Reibungen und Konflikte, welche die Notwendigkeit unterstreichen, Vorkehrungen zum Schutz der Religionsfreiheit zu treffen. Zu diesem Menschenrecht gehört selbstverständlich auch, dass man aus einer Religionsgemeinschaft austreten und in eine andere eintreten kann. Auch hier macht der Bericht deutlich, dass solche Entscheidungen in 42 Ländern schwerwiegende rechtliche und/oder soziale Konsequenzen haben. Hier ist geradezu exemplarisch die Schilderung aus Pakistan alarmierend, demzufolge eine junge Christin, die sich mit einer Ehe und einer Konversion zum Islam verweigerte, per Kopfschuss von einem polizeibekannten Täter ermordet wurde, ohne dass dieser vor Gericht gestellt wurde.

Wie erwähnt, ist in der heutigen Welt am stärksten bedroht die größte Religionsgemeinschaft, das Christentum. Von den weltweit 2,1 Milliarden Christen haben 200 Millionen, hat also jeder Zehnte, unter Diskriminierungen, Benachteiligungen und Anfeindungen zu leiden. Die Bandbreite reicht von Behinderung des Kultus bis zum rigorosen Verbot der Mission, von der Verletzung religiöser Grundfreiheiten bis zur gezielten Verfolgung und Vertreibung. Frieden zwischen den Religionen kann aber nur erreicht werden, wenn Menschen neben dem Recht, Religion frei zu praktizieren (Erbe des Christentums) und dem Recht, von Religion frei zu leben (Erbe der Aufklärung) auch die Freiheit zu genießen, die Religion zu wechseln – zu konvertieren, ohne dass sie Gefahren für Leib und Leben fürchten müssen. (Hans Maier im Neuen Staatslexikon der Görres-Gesellschaft, Freiburg 2020).

Prof. Dr. Wolfgang Bergsdorf (Jg. 1941) ist Politikwissenschaftler mit profunden Kenntnissen vom wirklichen Politikgeschehen. Er war Büroleiter des damaligen CDU-Vorsitzenden Helmut Kohl, später nacheinander Chef der Inlandsabteilung des Bundespresseamts und der Kultur-Abteilung im Bundesinnenministerium. Von 2000 bis 2007 war Bergsdorf Präsident der Universität Erfurt.

 

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