Der Drohnen-Pilot auf der Suche nach den Rehkitzen

Es herrscht Bilderbuchwetter. Blauer Himmel, strahlende Sonne. Eine leichte Brise weht über die Hügel des Bergischen Landes, lässt das Laub der Bäume am Waldrand rauschen und die Spitzen der Gräser auf den Wiesen hin und her schwingen. Allein dieses leise Sirren in der Luft passt nicht ganz in das Bild einer perfekten Idylle. Ein Gerät mit vier Propellern und einer Kamera unter dem Bauch schwirrt in etwa 30 Meter Höhe über die grüne Fläche – ausgefeilte elektronische Technik im Kontrast zu scheinbar unberührter Natur.

Mähzeit ist „Setzzeit“  

Tatsächlich ist das, was sich gerade hier oben, unweit des oberbergischen Städtchens Nümbrecht, vollzieht, ein experimentelles Zusammenspiel zwischen Landwirten auf der einen und Jägern sowie Naturschützern auf der anderen Seite. Denn jetzt, am Übergang vom Frühling zum Sommer, ist die Zeit, in der zum ersten Mal auf den Wiesen das Gras geschnitten werden muss. Das sind aber auch die Wochen – in diesem Jahr wegen eines unerwarteten Kälte-Einbruchs um einiges verspätet -, in denen die Rehe ihre Kitze auf die Welt bringen. Diese werden von den Müttern (den Ricken) besonders gern im hohen Gras abgelegt. Und zwar „abgelegt“ durchaus im Sinne des Wortes.

Denn dort sind die Neugeborenen weitgehend vor ihren natürlichen Feinden geschützt. Nicht nur, weil sie beinahe unsichtbar sind, sondern sie besitzen darüber hinaus einen angeborenen Schutzmechanismus. Praktisch sofort nach der Geburt duckt sich das Kitz fest an den Boden und bleibt regungslos liegen, bis die Ricke nach ihrer Nahrungssuche zurückkommt, um ihr Baby zu säugen. Das kann Stunden dauern. Und das Tierchen rührt sich auch dann nicht vom Fleck, wenn der Bauer mit der Mähmaschine kommt… Das ändert sich frühestens nach 14 Tagen. Erst dann können die Kitze ihren Müttern selbständig folgen. Kein Wunder also, dass Jahr für Jahr viele dieser hilflosen Jungtiere eines mitunter qualvollen Todes sterben – sehr zum Leidwesen der zumeist ja auch als Wildschützer tätigen Jäger, aber auch der beteiligten Landwirte.

Ein kleiner dunkler Punkt im Grün

Im hohen Gras versteckt liegt bewegungslos das Rehkitz

Mehr als eine halbe Stunde schon hat der Drohnen-„Pilot“ seinen Quadrocopter über den ausladenden Grünflächen auf den oberbergischen Höhen patroullieren lassen, ohne einen „Treffer“ zu landen. Während der mittlerweile leer gewordene Akku gewechselt wird, berät eine Expertengruppe, an welch anderer Stelle sich die Suche möglicherweise erfolgreicher gestalten könnte. Denn dass in diesem Gebiet erst kürzlich Kitze abgelegt“ wurden, darüber ist man sich absolut sicher. Hatte man doch schon am Morgen, zusammen mit Schülern des Nümbrechter Gymnasiums, zwei Reh-Babys gefunden, vorsichtig in Gras eingepackt in eine Kiste gelegt und nach der Mahd an selber Stelle wieder platziert.

Bernd Steinhausen hat den Vorgang auf seinem Smartphone dokumentiert und die Videos während einer Veranstaltung gezeigt, auf der Vertreter der Gothaer-Versicherung über Vorschriften, Rechte und Grenzen beim Versichern der juristisch noch immer nicht eindeutig ein- und zugeordneten neuen Fluggeräte namens „Drohnen“ informierte. Immer wieder drängt Steinhausen zum Aufbruch. Denn der heute benutzte Apparat verfügt nicht über eine Wärmebild-Kamera. Und je höher die Außentemperatur steigt, desto mehr nähert sie sich der Körperwärme des Rehkitzes an. Mit anderen Worten – die Wahrscheinlichkeit eines Aufspürens aus der Luft wird geringer.

30 Jahre Russland-Reisen

Jäger und Naturschützer Bernd Steinhausen

Wer den eher zurückhaltend auftretenden Mann an diesem Tag auf den Bergischen Höhen beobachtet, käme nie auf die Idee, dass er je etwas anderes getan haben könnte als der Natur und ihren Geschöpfen zu dienen. Na klar, sagt er, sei er auch Jäger. Aber dazu auch noch Schützer von Umwelt, Wald und Flur. Rundum das Revier und auch die Wiesen hat er im Laufe von Jahren gekauft – rund 30 Hektar. Auf diesem Grünland möchte er wieder jene Wildblumen wachsen sehen, „die ich noch aus meiner Kindheit kenne und die der intensiven, modernen Bewirtschaftung leider gewichen sind“. Niemand, der Steinhauser nicht kennt, würde vermuten, dass dieser Mann als erfolgreicher Reiseveranstalter 30 Jahre lang Touristen vor allem nach Russland gebracht hat. Und zwar deutlich mehr als jede Konkurrenz. Beinahe wäre es ihm sogar gelungen, zusammen mit russischen Freunden, die Formel 1 nach Moskau zu holen. 2011 machte er Schluss – „aus gesundheitlichen Gründen“.

Jetzt deutet Steinhauser auf den etwa 200 Meter entfernten Waldrand, an den die Wiese grenzt. Wieder schwirrt die Drohne über das Gras. Plötzlich hebt der „Pilot“ den Finger: „Ich glaube, ich habe es!“. Auf dem Monitor der Fernsteuerung ist ein ganz kleiner dunkler Punkt zu erkennen. Und tatsächlich – der Punkt entpuppt sich als ein winziges lebendiges Wesen. Es ist ein Rehkitz. „Nicht älter als 10 Stunden“, ist sich die waidmännische Expertenrunde sicher. Sofort wird der Fundort mit einem Birkenast markiert. Denn jetzt kann der Bauer kommen und die Wiese mähen. Wahrscheinlich wird man ihm raten, die Stelle mit dem Kitz zunächst zu umfahren. So oder so – im Kitze-retten ist man inzwischen im Oberbergische geübt. Früher ausschließlich mit Hilfe der gut ausgebildeten Jagdhunde. Und mittlerweile eben auch aus der Luft. Damit befindet man sich durchaus in guter Gesellschaft – national wie international. Tausende von Jungtieren, heißt es, würden jedes Jahr gerettet.  

Gisbert Kuhn

 

                              

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