Von Günter Müchler

Autor Günter Müchler

Gutmenschen wussten schon immer, wie man sich durch Anverwandlung aufpumpt. Trittbrettfahren, wo was los ist. Den Mehrwert abschöpfen, den ein Großereignis durch Medienpräsenz bietet: Sozialpsychologen nennen diese Haltung parasitäre Publizität.

Greenpeace hat aus der Masche eine wahre Kunst gemacht. Aber manchmal fällt man halt doch vom Reck, wie dieser Tage, als einer der NGO-Aktivisten auf dem grünen Rasen der Münchener Allianz-Arena eine Bruchlandung machte. Der Motorschirmflieger hatte eigentlich, wie ein Todesvogel über dem Arenadach kreisend, gegen Volkswagen protestieren sollen. Ein böses Erwachsen für VW-Chef Dieß, der mit seiner industriepolitisch umstrittenen Single-issue-E-Motor-Strategie bei den Klimaschützern punkten möchte, nun aber belehrt wurde, dass das Sponsern von Fußball-Events fast so sündig ist wie der Bau vierrädriger Benzinschlucker. Der Crash des Greenpeace-Piloten verletzte übrigens zwei Fußballfans. Die Sicherheitskräfte sprachen von Glück, aber das nur nebenbei.

Sportveranstaltung mit Welt-TV-Verbreitung haben eine unwiderstehliche Anziehungskraft und sie sind wie geschaffen, von empathieprallen Weltverbesserern ausgebeutet zu werden. Das sagte sich der Münchener Stadtrat und beantragte bei der UEFA (dem Europäischen Fußballverband) die Erlaubnis, die Arena im Münchener Norden am vergangenen Mittwoch in den Farben des Regenbogens erstrahlen zu lassen.

Weshalb am Mittwoch? An dem Tag empfing die deutsche Fußball-Nationalmannschaft Gäste aus Ungarn, einen Vorrundengegner der Europameisterschaft. In der dortigen Hauptstadt Budapest aber hatte gerade das Parlament ein Gesetz verabschiedet, das Ministerpräsident Viktor Orban nach Ansicht der in diesem Punkt scharf wie eine Rasierklinge formulierenden EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen die Schamröte ins Gesicht treiben sollte.

Zweifellos widerspricht das Gesetz den Standards, denen die EU in puncto sexueller Vielfalt mehrheitlich folgt. Ebenso wenig lässt sich bestreiten, dass der Münchener Stadtrat, indem er Kriegsbemalung für das Fußballspiel beantragte, das Match für eine politische Demo missbrauchen wollte. Genau das aber verbieten die UEFA-Statuten. Der Stadtrat samt Unterstützern musste also wissen, dass er ins offene Messer lief. Die UEFA konnte gar nicht anders, als den Antragstellern ein kühles Nein entgegenzusetzen.

Andernfalls hätte der Fußballverband der Politisierung des Sports Tür und Tor geöffnet. Die Gefahr lauert latent, auch ohne den Regenbogen-Zwischenfall. Bereits der um sich greifende Kniefall zum Anpfiff, der an die Tötung des schwarzen US-Amerikaners George Floyd erinnern soll, erzeugt ein unangenehmes Gefühl, das allzu bemüht wirkende Bekenntnisse immer erzeugen. Es war falsch, die Kniefall-Geste hinzunehmen. Die Verbände haben damit einen Grenzübertritt legalisiert, der sie teuer zu stehen kommen wird.

Denn wer sucht aus, was gute und was schädliche Symbolpolitik ist? Die grün-bunten Aktivisten sind die einzigen, die mit der heiklen Triage kein Problem haben. Sie praktizieren sie gewohnheitsmäßig: Gewalt gegen Polizisten? Eine lässliche Sünde, wenn sie der Verteidigung von Baumhütten im Hambacher Forst dient. Eine Sache, über die man allerdings reden kann, wenn sich Migranten mit der Staatsmacht anlegen. Dagegen Staatsnotstand, wenn Rechtsradikale das gleiche tun.

Und was missbräuchliche Staatsgewalt angeht:  Daran mangelt es nicht. Da ist Herr Orban nicht der einzige mit einem Vorstrafenregister. Wladimir Putin fällt einem ein oder Erdogan. Hier ein paar Vorschläge: Zur Eröffnung eines Fußballmatches mit russischer Beteiligung könnte ein Vertrauter des Dissidenten Nawalny die Begrüßungsrede halten. Ein Match gegen die türkische Auswahl könnte nach der Nationalhymne durch eine Hommage des Satirikers Böhmermann auf Erdogan bereichert werden. Stinkbomben platzen, wo sie wollen, und daher sollten man der vielgeschmähten UEFA ausnahmsweise dankbar sein, dass sie den Münchenern in die Speichen gegriffen hat.    

Respice finem! Bedenke das Ende! Mit dieser Aufforderung wären LSBTIQ- Aktivisten vermutlich überfordert. Dagegen muss man Sportredakteuren der Fernsehanstalten, die im Umfeld des Ungarn-Spiel, statt unterschiedliche Standpunkte zu Wort kommen zu lassen, ihre bekennerhafte Inkontinenz nicht zügeln konnten, ihre Unbedarftheit nicht rabattieren.

Noch weniger Nachsicht verdienen Politiker, die das Ausbleiben des Farbschauspiels mit Abscheu und Empörung quittierten. Wenigstens hatte Annalena Baerbock eine weiterführende Idee. Die Niederlage sollte durch Einführung einer neuen olympischen Disziplin, einer Art LSBTIQ-Marathon, wettgemacht werden, verlangte sie: „Lasst uns ein starkes Zeichen setzen und den Regenbogen durchs Land tragen“,   deklamierte sie im Stil eines Napoleon-Aufrufs („Der Sieg wird im Sturmschritt vorrücken. Der Adler mit den Nationalfarben wird von Turm zu Turm bis zu denen von Notre Dame fliegen“).

Andere ihrer Kollegen ergingen sich in Solidaritätsadressen, persönlichen Confessiones, lagerübergreifend von Heiko Maas bis Markus Söder, welch letzterer inzwischen den Elastizitätsgrad eines Houdini erreicht hat. Dabei müssten doch gerade Politiker wissen, dass der internationale Sport, was immer man über ihn sagen mag, eine friedenserhaltende Funktion besitzt. Die ist rasch beim Teufel, wenn ausländische Gäste (im aktuellen Fall das ungarische Team) in Geiselhaft für irregeleitete Parlamentsbeschlüsse genommen werden.

Dr. Günter Müchler ist Journalist, promovierter Historiker, Politik- und Zeitungswissenschaftler – und, nicht zuletzt, Fußballfan. Er war jahrelang Programmdirektor beim Deutschlandfunk.   

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