Von Kriegen und Türmern

Gustav-Adolf-Gedenkstätte ©Stadt Lützen

Keine 40 Kilometer südwestlich der traditionsreichen sächsischen Messe-Metropole Leipzig und nur einen Steinwurf nördlich des Autobahnkreuzes „Rippachtal“ (A 9 und A 38) liegt das verträumte 8000-Seelen-Städtchen Lützen. Lützen? War da nicht mal was? Na klar doch! Der 30-jährige Krieg. Die Schlacht bei Lützen zwischen den kaiserlich-katholischen Soldaten des Feldherrn Albrecht von Wallenstein und dem evangelisch-schwedischen Heer am 16. November 1632, in der König Gustav II. Adolf den Tod fand. Genau diesem Ereignis ist eine höchst bemerkenswerte (und eines Besuchs würdige) Gedenkstätte mit angeschlossenem Museum am östlichen Ortsrand der sachsen-anhaltinischen Kleinstadt gewidmet – direkt an der Straße nach Leipzig gelegen.

Gewiss, Mahnmale und Erinnerungsstätten an Kriege gibt es zuhauf in Deutschland. Doch mit dieser hier hat es eine besondere Bewandtnis. Denn nahezu 70 Jahre lang befand sich der kleine Fleck in schwedischem Besitz. Als quasi exterritorial anerkannt mitten in Deutschland. Und zwar in einer Art Traditionsfolge – beginnend in den 20-er Jahren des vergangenen Jahrhunderts mit der Weimarer Republik über das „Tausendjährige Reich“ der Nazis bis zur kommunistischen DDR. Der Grund für die eigenartige Rechtskonstruktion war, wie so oft, fehlendes Geld. Die ursprünglich für die Anlage zuständige Stadt Lützen konnte nach dem 1. Weltkrieg in der Folge von Wirtschaftskrise und Inflation die Unterhaltskosten nicht mehr aufbringen. Deshalb übernahm ein speziell gegründeter „Lützen-Fonds“ in Göteborg die Gedenkstätte und stellte sie unter die geistliche Aufsicht des Bischofs von Uppsala sowie der schwedischen Viktoria-Gemeinde in Berlin. Erstaunlicherweise hielten sich in den folgenden Jahrzehnten sogar die beiden Diktaturen in Deutschland an diese Abmachung. Verblüffend deshalb, weil seinerzeit doch tatsächlich vergessen worden war, die Eigentumsveränderung im Katasteramt eintragen zu lassen. 1994, nach der Vereinigung, erhielt die Stadt Lützen freilich die „Oberhoheit“ über die Gustav-Adolf-Gedenkstätte wieder zurück.

Nach den Plänen von Schinkel

Der „Schwedenstein“ ©Stadt Lützen

Das Areal selbst ist von einem Eichenhain umsäumt. Als erstes trifft der Besucher auf einen großen Findling, über den sich ein zehn Meter hohes, in Eisen gegossenes Monument wölbt – errichtet nach Plänen des Architekten Karl Friedrich Schinkel. Dahinter erhebt sich, aus grauem Bruchstein gemauert, ein Kirchenbau (die „Gustav-Adolf-Gedächtniskapelle“), der in den Fensternischen an der Vorderfront über dem Eingangsportal das Wappen der Wasa-Dynastie sowie ein lebensgroßes Reiterstandbild des Königs zeigt. Dazu befinden sich, als Zeichen des schwedischen Reichs, die drei Kronen und die Initialen „G.A. – S.R.“ – Abkürzung für „Gustav Adolf – Sueciae Rex“ (Schwedischer König). Der große Steinbrocken mit der Jahreszahl 1632 markiert die Stelle, an welcher der tödlich getroffene Monarch angeblich vom Pferd stürzte. Der Überlieferung zufolge hat Jacob Erikson, der an jenem Tag ebenfalls schwer verwundete Reitknecht des Königs, nach seiner Genesung 13 Bauern aus der Umgebung dazu überredet, den Findling an den Sterbeort zu wälzen.

200 Jahre später wurde der eiserne Baldachin über dem „Schwedenstein“ errichtet mit der Inschrift: „Hier fiel Gustav Adolf am 6. November 1632 (Julianischer Kalender, d. Red.). Er führte des Herrn Kriege. Unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat“. Die Kosten wurden damals über eine Sammlung von den deutschen evangelischen Christen aufgebracht. Der 1907 dahinter errichtete Kirchenbau hat als Besonderheit eine steil aufstrebende, hölzerne Dachkonstruktion, die einem kieloben stehenden Wikingerschiff gleicht. Schwedische und finnische Standarten schmücken die Wände seitlich des Altarraums. Abgerundet wird das Ensemble durch ein bilderbuch-typisches schwedisches Holzhaus mit rostrot gestrichenen Außenwänden und weißen Ecken, in dem sich ein Museum mit zahlreichen Original-Exponaten aus dem 30-jährigen Krieg und besonders natürlich der Schlacht bei Lützen befindet.

Ein blutiges Gemetzel

Gustav II. Adolf, Portait von Jakob Elbfas ca. 1630

Das Aufeinandertreffen der beiden Heere gehört zu den heftigsten jener, ohnehin schon grausigen, von Glaubens- und Machtfragen bestimmten Kriegsjahrzehnte. Erst 2011 wurde vor den Türen Lützens ein Massengrab entdeckt. Von der Auswertung der Funde erhoffen sich die Wissenschaftler noch genauere Aufschlüsse über die seinerzeitigen Kämpfe. Als die wahrscheinlichste Version gilt bisher: Mit wenigen Begleitern ritt Gustav Adolf bei starkem Nebel am Morgen des 16. November (dieses Datum ist nach dem auch jetzt üblichen „Gregorianischen Kalender bestimmt, d. Red.) über das Schlachtfeld, um seiner vom kaiserlichen Feldmarschall Ottavio Piccolomini bedrängten Infanterie beizustehen. Ein Gerücht besagt, der kurzsichtige König habe im Getümmel seine Brille verloren und sei, möglicherweise deswegen, den feindlichen Kräften zu nahe gekommen. Erst, jedenfalls, zerschmetterte eine Musketenkugel seinen linken Arm, danach traf Gustav II. Adolf auch noch auf eine Schar Kaiserlicher unter Führung des Oberstleutnants Moritz von Falkenberg, der von hinten auf ihn schoss und ihn tödlich verwundete.

Es war eines der grausamsten, verlustreichsten und trotzdem nicht einmal entscheidenden, Gemetzel in jenem fürchterlichen Krieg, an dem praktisch ganz Europa beteiligt war und der noch 16 weitere Jahre dauerte. Innerhalb von nur sechs Stunden starben rund 10 000 Menschen. Mit dem schwedischen König verschwand bei Lützen zudem eine der beiden charismatischsten Figuren von der Weltbühne. Das Schicksal der zweiten, des großen Gegenspielers Albrecht von Wallenstein, vollzog sich nicht einmal anderthalb Jahre später, mit dessen Ermordung am 25. Februar 1634 in Eger. Über Wallenstein haben Friedrich von Schiller und der Historiker Golo Mann bemerkenswerte Biografien verfasst. In der Erinnerung von Generationen vielerS Gymnasiasten dürfte freilich eher die zur Pflichtlektüre des Deutsch-Unterrichts zählende Novelle des schweizer Dichters Conrad Ferdinand Meyer schlummern: „Gustav Adolfs Page“.

Der Grabstein in St. Wenzel  

Curd Jürgens mit Liselotte Pulver in dem Film „Gustav Adolfs Page (1960)

Es ist die Geschichte von Gustl Leubelfing, der Tochter des Nürnberger Bürgermeisters und glühenden Verehrerin des Schwedenkönigs, der gerade in der Reichs- und Messestadt neue Soldaten anzuwerben versuchte.  Verkleidet als sein ängstlicher Bruder Anton verdingt sich das Mädchen als Page Gustav Adolfs. Erst als sie in der Schlacht bei Lützen schwer verwundet wird, entdeckt man, dass jahrelang in Wirklichkeit eine Frau an der Seite des Monarchen focht. Keine Frage, eine zu Herzen gehende Geschichte. Auch herrlich verfilmt mit Curd Jürgens als Gustav Adolf und Lilo Pulver als Page. Nur – die Realität war leider anders. Um die Wahrheit zu finden, muss man allerdings gar nicht weit forschen. Sie liegt, kaum 40 Kilometer von der Lützener Gedenkstätte entfernt, in der evangelischen St-Wenzel-Stadtkirche von Naumburg an der Saale. Ein Grabstein kündet dort von einem August von Leubelfing, beerdigt am 15. November 1632, also bereits einen Tag vor dem Ende Gustav Adolfs. Tatsächlich handelt es sich bei dieser Person um den Pagen des Königs, und in der Tat stammte er aus Nürnberg. Aber August war eben nicht Gustl – und er war ein Mann, kein Mädchen. Doch wie so oft – ist die Mär nicht viel schöner als die Wirklichkeit?

Das Ende der Türmer-Ära

Die Türmerin Angelika Thee (14.10.1987) ©ADN

Hier, in der Kirche von St. Wenzel, endet freilich nicht nur die romantische Vorstellung von dem verkleideten Pagen des schwedischen Königs. Hier fand, noch gar nicht lang ist es her, leider auch eine 470 Jahre währende Naumburger Tradition ein Ende. 1994, nämlich, beendete nach 17 Dienstjahren Angelika Thee (1)  ihre Tätigkeit in 67 Meter Höhe als Türmerin. Sie war die 36. Person in der Reihe der Warner vor Feuer und Feinden, seit die Stadtväter der Saalestadt einen gewissen Hans Heller 1527 zum ersten Wächter dort oben bestellt hatten. Wer beschreibt die Überraschung des Besuchers nach der Bewältigung von 242 Stufen, als plötzlich oben auf dem Turm eine Stimme sagte: „20 Pfennig, bitte“. Es war die Türmerin Angelika Thee, eine gelernte OP-Schwester, die sich in fünf winzigen Zimmerchen auf rund 70 Quadratmetern ein spezielles persönliches Reich geschaffen hatte. Nach ihrem Auszug wurden die Räume von der Stadt zwar renoviert, dienen jedoch nur noch musealen Zwecken.

Ein Besuch der Domstadt an der Saale (Achtung Rätselfreunde: Stifterfigur mit 3 Buchstaben?) einschließlich der Wenzelskirche mit Turmbesteigung lohnt sich dennoch.

Gisbert Kuhn                           

Titelfoto: Gustav-Adolfs Tod in der Schlacht auf einem Ölgemälde von Carl Wahlbom (1855)

 

(1) So porträtierte die damalige amtliche DDR-Nachrichtenagentur ADN am 14. Oktober  1987 Angelika Thee. Der Text beschreibt die Situation und die Lebensumstände, in denen die Türmerin nicht nur in jener Zeit, sondern praktisch bis zum Schluss lebte.

Angelika Thee ist eine „hohe“ Frau. Die ehemalige OP-Schwester arbeitet seit 1976 als Türmerin in der Stadtkirche St. Wenzel in Naumburg. Ihre Wohnng befindet sich in 67 Meter Höher. Der Besucher muß 242 Stufen einer engen Wendeltreppe emporsteigen, vorbei an der Türmerwohnung, will er von der Aussichtsplattform den Blick über die fast 1000jährige Stadt und ihre reizvolle Umgebung genießen. Angelika Thee bewältigt dieses Pensum täglich. Sie ist die 36. Türmerin seit 1527. Im Gegensatz zu ihren Amtsvorgängern früherer Jahrhunderte muß sie nicht mehr die Stadttore überwachen,Feuerbrünste und nahende Feinde melden oder die Turmuhr aufziehen. Frau Thee überwacht den Gang der elektrischen Uhr, besorgt Handwerker für notwendige Reparaturen, läutet die Glocke für die Kirchengemeinde. Gästen weist sie den Weg zur Aussichtsplattform und berichtet ihnen auch gern über die wechselvolle Geschichte Naumburgs. Ein elektrisch betriebener Aufzug befördert allle Lasten freischwebend außen am Turm nach oben und unten. Das Treppensteigen aber nimmt ihr bei allen Komfort niermand ab.

Copyright-ADN-Zentralbild Berlin-DDR

  

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