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Autor Gisbert Kuhn

Unlängst verkündeten Bildungspolitiker und Erziehungswissenschaftler eine frohe Botschaft. Die Englischkenntnisse deutscher Schüler seien – im Vergleich zu früheren Jahren – hörbar besser geworden. Na wunderbar, frohlockt bei dieser Nachricht der einst noch unter Vokabel-, Grammatik-, Diktat- und Übersetzungs-Keulen ächzende Steinzeit-Pennäler, die modernen Softie-Methoden haben offensichtlich doch große Vorteile. Nun leben wir aber, dummerweise, nicht in Großbritannien, sondern in Deutschland. Und hier wird – multikulti hin oder her – im Prinzip halt immer noch überwiegend mehrheitlich deutsch gesprochen. Daher wirkte es wie eine kalte Dusche, als die rührigen Wissensforscher als zweites bedeutsames Resultat ihrer Arbeit der staunenden Öffentlichkeit mitteilten: Aber mit dem Deutschen ist es leider noch weiter abwärts gegangen!

Und zwar offensichtlich auf ganzer Breite. Das heißt – bei Schülern klaffen immer mehr Lücken hinsichtlich der Fähigkeit, sich auszudrücken oder simple Dinge zu erklären. Rechtschreibung, Grammatik und Interpunktion lassen (sehr zurückhaltend ausgedrückt) außerordentlich zu wünschen übrig. An etlichen Universitäten mussten bereits Nachhilfekurse für Erstsemester eingerichtet, weil selbst Prädikats-Abiturienten relativ einfache Texte nicht verstanden. Eine nordrhein-westfälische Staatssekretärin, auf diese jammervollen Tatbestände angesprochen, faselte darauf hin etwas von „elitären Vorstellungen“, die man doch ganz bewusst nicht wolle.

Gips statt Grips?

Also lieber Gips statt Grips in der Birne? Und das in einem Land, dessen einziger wirklicher „Rohstoff“ aus Bildung besteht! Zugegeben, das „Wort des Jahres 2016“, das der Langenscheidt-Verlag als Nachweis einer lebendigen Jugendkultur herausgefunden hat, ist nicht ohne Witz – „Fly sein“. Sozusagen Ausdruck eines bestimmten (vielleicht auch nur erhofften) Lebensgefühls. Es hätte freilich noch mehr Pepp, wenn die tagtäglich bei Heranwachsenden erlebbaren Begriffsbestimmungen wenigstens ansatzweise über „cool“ und „geil“ hinaus gingen – das heißt, vielleicht sogar mal etwas so altmodisches wie „schön“, „atemberaubend“, „wunderbar“ lautmalerisch mit einbezögen. Man muss ja gar nicht so weit gehen und daran erinnern, dass auch im Zeitalter der Digitalisierung die Sprache der Kulturträger Nummer 1 bleibt. Es geht auch eine Etage tiefer: Wie wirkt denn wohl eine Stellenbewerbung, die vor Fehlern nur so strotzt und der Absender dies mit Hinweis auf das Sprachprogramm des Rechners zu erklären versucht?

Es mag ja ein zeitlicher Zufall sein. Ein innerer Zusammenhang allerdings besteht dennoch. Gemeint ist einerseits der oben angesprochene Bildungsbericht mit seiner kritischen Bewertung der Sprachbeherrschung an den Schulen. Und andererseits die ebenfalls vor ein paar Tagen veröffentlichte Untersuchung über die unverändert zunehmende Gewaltbereitschaft nicht zuletzt unter Jugendlichen, Schüler nicht ausgenommen. Gerade dabei reicht es eben nicht, einfach nur auf „Problemgruppen“ zu verweisen – besonders auf solche mit „Migrationshintergrund“. Na klar gibt es die, mit entsprechenden elterlichen „Vorbildern“. Doch man findet sie, kaum weniger, genauso unter den so genannten Bio-Deutschen.

Seit Jahren weggeschaut

Komme jetzt bloß keiner und beklage diese – weiß Gott schlimme – Situation als Folge etwa der gegenwärtigen Flüchtlingspolitik. Der Niedergang im schulischen Lehren und Lernen geht viel weiter zurück. Der kluge Militär-Analytiker Clausewitz hatte bereits vor rund 200 Jahren festgestellt, dass der Krieg viel zu wichtig sei, um ihn den Generälen zu überlassen. Diese Weisheit lässt sich nahezu wörtlich auf „Bildung“ und „Bildungspolitiker“ übertragen. Seit fast einem halben Jahrhundert ist dieser für die Kultur wie für die Wirtschaft dieses Landes so ungemein wichtige Sektor als Spielwiese wilden Theoretikern und Ideologen überlassen worden. Seit Jahren wurde über für jedermann erkennbare Fehlentwicklungen bewusst weggeschaut. Überrascht es da wirklich noch, wenn jetzt – im Zusammenhang mit der Debatte über Gewaltentwicklung in und an Schulen – Lehrer lieber schweigen, weil sie zu Recht fürchten, dass sie weder von der Schulleitung noch gar von Seiten der Politik Rückendeckung erhalten?

Um freilich der ganzen Wahrheit die Ehre zu geben – es ist ja nicht ganz so, dass sich auf dem Bildungs- und Erziehungssektor nichts täte. Zum Beispiel in Berlin (im erwähnten Bildungsbericht schon traditionell weit abgeschlagen am Ende der Skala). Dort gibt es (mit Namen „Senat“) eine neue Stadtregierung. Bestehend aus SPD, Linken und Grünen. Vom Volksmund abgekürzt „rot-rot-grün“. Hier ein Auszug aus dem Koalitionsvertrag: „Zur Unterstützung des Coming Outs und der Belange junger LSBTTIQ* wird die Koalition die queere Jugendarbeit ausbauen und mindestens ein queeres Jugendzentrum mit Berlin weitem Auftrag einrichten. Sie unterstützt insbesondere queere Projekte, die in der Jugendfreizeit- und Jugendberatung und in der Schulaufklärung mit dem Peer-to-Peer-Konzept arbeiten“ (LSBTTIQ* steht für Lesbisch, Schwul, Bisexuell, Transgender, Intersexuell und Queer. Das Sternchen für mindestens 55 weitere sexuelle Identitäten von „nicht-binär“ bis Pangender).

Eine nationale Wissenslücke

Haben unsere geneigten Leser das verstanden? Also: Sehr vereinfacht will der Koalitionstext sagen, dass es natürlich völlig falsch sei, die Menschen (wie wohl leider immer noch eher üblich) in „Er“ und „Sie“ sowie vielleicht zusätzlich in die eine oder andere „sonstige“ Sexualkategorie einzuteilen. Und weil diese Unkenntnis offensichtlich so unverändert weit erbreitet ist, muss die Wissenslücke – so der Berliner Senat – anscheinend dringen u. a. mit Hilfe der Schule dringend geschlossen werden. Natürlich, und logischerweise,  unter vollem Einsatz öffentlicher Gelder.

Und nun? Lieb Vaterland, magst ruhig sein? Oder nicht eher: Lieb Vaterland – o wei, o wei…?

Gisbert Kuhn

 

 

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