Lichtgestalten in dunklen Zeiten
Eine Würdigung des 20. Juli 1944 gegen Schmähkritik bis heute
Von Harald Bergsdorf
Jedes Jahr gedenkt die Bundesrepublik des Attentates vom 20. Juli 1944. Das Datum gehört zu den wichtigsten in der deutschen Geschichte. Denn die Verschwörer um Claus Schenk Graf von Stauffenberg wollten mit Hitler den größten Verbrecher der Historie töten. Gerade die Jahrestage des Attentats liefern einen guten Grund, es zu erklären, zu würdigen und gegen Schmähkritik bis heute zu verteidigen. Bereits Hitler hatte die Verschwörer nach dem Attentat bekanntlich eine „ganz kleine Clique ehrgeiziger, gewissenloser und zugleich verbrecherischer, dummer Offiziere“ genannt. Heutige Kritik zunächst am späten Zeitpunkt des Attentats Stauffenbergs übergeht und unterschätzt sowohl die diversen Versuche weit vor dem 20. Juli 1944, Hitler zu beseitigen, als auch grundsätzliche Schwierigkeiten, unter den Bedingungen eines „Widerstandes fast ohne Volk“ den Diktator eines totalitären Regimes zu eliminieren.
Zu den Persönlichkeiten, die Hitler töten wollten, gehörte zum Beispiel Rudolf-Christoph Freiherr von Gersdorff. Er hatte vor, sich im März 1943 auf einer Ausstellung über Beutewaffen aus dem Osten, die er Hitler erklären sollte, mit diesem im Berliner Zeughaus in die Luft sprengen. Das misslang, weil Hitler den Ort der geplanten Tat vorzeitig verlassen hatte. Ebenfalls im März 1943 schmuggelten Fabian von Schlabrendorff (später Richter am Bundesverfassungsgericht) und Henning von Tresckow eine Bombe in Hitlers Flugzeug. Doch der Zeitzünder versagte. Eberhard vo
Ein zu hoch gestecktes Ziel
Einen früheren Erfolg eines Attentats erschwerte auch das ursprüngliche Ziel vieler Verschwörer, Hitler möglichst nur zugleich mit Hermann Göring und Heinrich Himmler aus dem Weg zu räumen. Denn gerade Himmler verfügte mit der SS über eine potentielle Bürgerkriegsarmee. So scheiterte im März 1943 der Plan, Hitler und Himmler bei einem Frontbesuch zu erschießen, weil der SS-Chef seine Teilnahme kurzfristig abgesagt hatte. Zu den damals vorgesehenen Todesschützen gehörte Philipp von Boeselager.
Grundsätzlich freilich hegten viele Wehrmachtsoffiziere anfangs schwere Bedenken, ihren Eid auf den „Führer“ zu brechen. Hierbei verkannten sie allerdings ihre Pflicht, soldatischen Gehorsam zu verweigern, wenn Wissen und Gewissen es verbieten, Befehle eines Verbrecher-Regimes zu befolgen. Axel von dem Bussche bemerkte 1947, einen solchen Eid könnten beide Seiten brechen – und Hitler habe ihn selber vielfach gebrochen. Auch zweifelten manche Offiziere zu Anfang des Krieges, als Hitler militärisch von Erfolg zu Erfolg eilte und in der Bevölkerung viel Unterstützung genoss, an der Chance, einen Umsturz überhaupt erfolgreich durchzuführen. Denn nie gab es in Deutschland – anders als in besetzten Ländern – eine Massenbewegung gegen Hitler, die den Widerstand hätte ermutigen oder gar mitreißen können.
Ebenfalls blockierte viele Militärs der Gedanke, ausgerechnet im Krieg gegen die totalitäre Sowjetunion der eigenen Führung in den Rücken zu fallen. Aufgrund ihrer Erfahrungen in der Weimarer Republik fürchteten sie eine neue Art von Dolchstoßlegende. Umso wichtiger waren Mut und Tatkraft des Katholiken Stauffenberg und seiner Mitstreiter, zu deren Kompass und Kraftquellen gerade auch ihr christlicher Glaube gehörte. Andere Kritiker unterstellen den Verschwörern um Stauffenberg, Friedrich Olbricht, Albrecht Ritter Mertz von Quirnheim, Werner von Haeften, Ludwig Beck und Henning von Tresckow, sie hätten Hitler lediglich deshalb ausschalten wollen, weil Deutschland 1944 eine militärische Niederlage drohte. Im Widerspruch dazu gab es aber eben bereits zuvor viele (wenn auch vergebliche) Attentatsversuche. Im Kern ging es den Verschwörern darum, Hitlers Herrschaft des Verbrechens zu beseitigen, seine singulären Massenmorde zu beenden und die Diktatur zu stürzen. Sie kämpften, in Wirklichkeit, gegen das NS-Verbrecherregime und für Rechtsstaatlichkeit.
Monströse Verbrechen beobachtet
Gerade von dem Bussche und andere Mitverschwörer waren vor allem durch die monströsen Massenverbrechen des Regimes zur Tat motiviert. Anfang Oktober 1942 hatte er in der Ukraine beobachtet, wie Hitlers willige Helfer tausende Juden exekutierten. Daraufhin erklärte er, er wolle sich mit dem Diktator bei der Vorführung neuer Uniformen in die Luft sprengen. Doch Hitler ließ den anvisierten Termin mehrfach verlegen. Später sprach Stauffenberg mit dem jungen Ewald Heinrich von Kleist darüber, ob er bereit sei, sich mit Hitler in die Luft zu jaggen. Von Kleist überlegte, das Attentat selbst auszuführen, erbat sich aber noch Bedenkzeit, um sich zunächst mit seinem Vater zu beraten. Der befand: „Ja, das musst Du tun. Wer in einem solchen Moment versagt, wird nie wieder froh in seinem Leben.“ Doch der Diktator ließ auch diese Uniformvorführung mehrfach absagen.
Hitlers Massenmorde und seinen Vernichtungskrieg zu beenden, gehörten, fraglos, zu den Hauptmotiven des Widerstandes. Heute wäre es einseitig, zu behaupten, das Attentat vom 20. Juli 1944 sei gescheitert. Immerhin hatte sich Goebbels kurz nach dem Attentat schon Zyankali organisiert. Zwar misslang es, Hitler zu töten, somit Deutschland aus seinem Innern heraus von der NS-Diktatur zu befreien und damit wahrscheinlich viele jener Millionen Menschenleben zu retten, die noch nach dem 20. Juli 1944 durch den von Hitler entfesselten Krieg und durch NS-Massenmorde starben. Doch mit ihrer aufopferungsvollen und mutigen Tat gelang es den Verschwörern, der Welt zeigen, wie wie falsch und absurd es gewesen wäre, Deutschland und die Deutschen pauschal als monolithisch-homogenes Land von Fanatikern, Kollaborateuren und Mitläufern abzuqualifizieren.
Sie galten lange als Verräter
Tatsächlich erleichterte das Attentat nach dem Ende der „Hitlerei“ (Sebastian Haffner) die Rückkehr Westdeutschlands in den Kreis der Demokratien. Allerdings – die Mehrheit der Westdeutschen würdigte Geist und Tat des Attentats nach dem Krieg erst allmählich. Noch in den 50-er Jahren galten Stauffenberg und seine Mitverschwörer vielen Bundesbürgern als Verräter, wie Umfragen zeigen. Unter solchen Kritikern dies- und jenseits hoher Funktionen in Staat und Gesellschaft befanden sich seinerzeit auch (und gerade) viele frühere Mitläufer oder gar Mittäter. Die SED-Diktatur wiederum ignorierte den Widerstand des 20. Juli 1944 weitgehend, weil er nicht in ihr Weltbild passte. Schließlich erklingt bis heute immer wieder Kritik, wonach Stauffenberg und seine Mitstreiter keine Demokraten gewesen seien.
Tatsächlich gab es unter den Verschwörern einige Protagonisten, die Hitlers Machtantritt anfangs unkritisch unterstützt oder auch freudig begrüßt hatten, weil sie sich – wie viele Deutsche – von seiner Propaganda, seinen Lügen und Scheinerfolgen hatten blenden lassen. Nicht zuletzt von seiner totalen Ablehnung des Versailler Diktat-Friedensvertrages. Ebenso konnte sich die Mehrheit der Deutschen anfangs wohl kaum vorstellen, welche ungeheuerlichen Massenverbrechen Hitler und seine Helfer später begehen würden. Es ist wahr, einige der späteren Verschwörer entwickelten erst allmählich eine kritischere Sicht auf Hitler und sein Regime. Grundsätzlich betrachteten Teile des Widerstandes – nach dem Scheitern der Weimarer Republik – die Parteiendemokratie zunächst lange Zeit skeptisch. In ihren Augen hatte schließlich diese Aufstieg und Machteroberung Hitlers im Wesentlichen ermöglicht. Im Kampf gegen Hitler wollten viele Mitverschwörer daher alte politische Gräben überwinden. So agierte mit und hinter Stauffenberg – neben weiteren Militärs – eine große Vielfalt von rund 200 Persönlichkeiten. Darunter Katholiken wie Alfred Delp, Protestanten wie Eugen Gerstenmaier (später Bundestagspräsident) sowie Sozialdemokraten und Gewerkschaftler wie Julius Leber und Wilhelm Leuschner.
Grundlagen der modernen Demokratie
Sie überwanden viele jener Gegensätze, die sowohl zum Abstieg der Republik als auch zum Aufstieg der NSDAP beigetragen hatten. Dadurch legten sie, wie Bundeskanzler Helmut Kohl am 20. Juli 2004 sagte, gute Grundlagen für den demokratischen Grundkonsens der Bundesrepublik. „Stauffenbergs Tat kennt in der deutschen Geschichte ebenso wenig eine Parallele wie es die Verbrechen Hitlers tun“ (Peter Hoffmann). Die tapferen Verschwörer um Stauffenberg handelten wie „Lichtgestalten in finsteren Zeiten“ (Horst Möller). Das todesmutige Attentat vom 20. Juli 1944 mahnt auch weiterhin 79 Jahre danach unvermindert, sich stets für die rechtsstaatliche Demokratie und gegen ihre Zerstörer aller Richtungen zu engagieren. Wachsamkeit gegenüber jeglichen Freiheitsfeinden bleibt eine wichtige Zukunftsaufgabe für alle Demokraten der unterschiedlichen Überzeugungen.
Dr. Harald Bergsdorf ist Politikwissenschaftler, Zeithistoriker und Buchautor aus Bonn