Turbulenzen um Bonner Ausstellung über Michael Jackson

Von Gisbert Kuhn

Appau JuniorBoakye-Yiadom: P.Y.T., 2009, Latex Balloons, Ribbons and Penny Loafer Shoes

Es ist ein hübsches, luftiges, irgendwie aufstrebend-fröhliches Bild, das sich dem Besucher als erstes beim Eintreten in die neue Schau der Bundeskunst- und Ausstellungshalle in Bonn präsentiert. Nein, nicht eigentlich ein Bild, sondern ein sehr gegenständliches Objekt. Zwei schwarze Halbschuhe berühren nur noch mit ihren Spitzen den Boden, weil ihre Hacken von einem Dutzend bunter Luftballone nach oben gezogen werden. Das Werk strahlt Leichtigkeit aus – eine Leichtigkeit, wie sie auch Michael Jackson tänzerisch mit seiner berühmten Schrittfolge, dem „moon walk“, auf den Bühnen der Welt überbrachte. Ein origineller Einfall für eine Ausstellung, die ja auch jenem Mann gewidmet ist, den sie als “king of pop“ feierten und bei dessen Auftritten sich vor allem die Mädchen scharenweise frenetisch in Ohnmacht kreischten: Michael Jackson.

Ein Film ändert alles

Bonn ist bereits der dritte Ort, an dem die vor drei Jahren von der National Portrait Gallery in London konzipierte und im Wesentlichen zusammengestellte Ausstellung „Michael Jackson: On the Wall“ gezeigt wird. Nach der britischen Hauptstadt folgte im vorigen Jahr das Pariser „Grand Palais“, und nun wird sie bis zum 14. Juli am Rhein zu sehen sein. Diese etwas umständliche Einführung  erscheint nötig, weil sich seit dem 25. Januar 2019 einiges verändert hat. Nicht wenige kritische Zeitgenossen sprechen sogar von „dramatischen Veränderungen“. An jenem Tag, nämlich, wurde beim amerikanischen Sundance Film Festival der Dokumentarstreifen „Leaving Neverland“ gezeigt, in dem zwei Männer – offenbar sehr glaubwürdig wirkend – ausführlich berichten, wie sich der Pop-Star über Jahre sexuell an ihnen vergangen habe. Am 6. April wird der deutsche TV-Sender Pro 7 den 4-Stunden-Film ausstrahlen.

Seit jenem Januartag jedenfalls herrschen Unruhe und Empörung, These und Antithese nicht nur in der globalen Kulturszene. Darf, so die am häufigsten gestellte Frage, im Lichte der jüngsten Enthüllungen, diese – von nicht wenigen Zeitgenossen als verklärend empfundene – Schau überhaupt noch gezeigt werden? Oder (so die Gegenrede) muss das nicht eben gerade jetzt unbedingt geschehen, um zu demonstrieren, dass Kunst und Person – also Werk und Künstler – getrennt zu bewerten seien.  Etwas seltsam mutet die aktuelle Aufregung freilich schon an. Denn die Vorwürfe gegen Jackson wegen angeblicher Pädophilie sind schließlich nicht neu; 2003 war er wegen angeblichen Kindesmissbrauchs verhaftet, jedoch zwei Jahre später freigesprochen worden. Skurrile Randereignisse damals: Ausgerechnet die beiden Männer aus der jetzigen Doku waren seinerzeit (obwohl damals bereits erwachsen) die Hauptentlastungszeugen, und Jackson zahlte trotz des Freispruchs viele Millionen Dollar…

Die Unschuld verloren

Rein Wolfs, Intendant der Bundeskunsthalle, vor einem Bild Michael Jacksons von Yan Pei-Ming

Rein Wolfs, der Intendant der Bundeskunst- und Ausstellungshalle, weiß natürlich, dass die Jackson-Ausstellung wegen der erregten öffentlichen Diskussion sozusagen die Unschuld verloren hat. Zumindest in der medialen Welt spielt beispielsweise nicht etwa der künstlerische Wert der Exponate und ihrer Zusammenstellung die zentrale Rolle, sondern die Frage, ob die Schau auf Basis der vielfach geforderten “politischen Korrektheit” denn  überhaupt noch gezeigt werden dürfe. Tatsächlich hat in Kanada ein großes Medienunternehmen seine 23 Sender kürzlich angewiesen, die Musik von Michael Jackson nicht mehr zu spielen. Ähnliches ist aus Norwegen und den Niederlanden zu vernehmen. Das Children´s Museum in Indianapolis entfernte Jackson-Exponate aus seiner Sammlung, und Modeketten überdenken ihre Kollektionen mit Stücken in seinem Stil. Rein Wolfs aber hält an der Ausstellung fest.

„Wir sind erschüttert“, sagt er, „von  den Vorwürfen“. Aber die Schau müsse gezeigt werden, „weil sie eine kunsthistorische Ausstellung ist“. Die Kunstwerke seien ja schließlich nicht schuldig. Und außerdem: „Wir haben es mit der Ausstellung in der Hand, uns an Debatten zu beteiligen“. In der Tat enthält das bis zum 14. Juli gehende Rahmenprogramm eine Reihe von Angeboten dessen, was der Ausstellungschef „eine kritische Klammer“ nennt, welche die Thematik von Missbrauchsfällen und sexueller Instrumentalisierung ansprechen werde. Zudem stünden in den Räumen permanent Ansprechpartner für Besucherfragen bereit. Noch einmal Wolfs: „Es geht uns darum zu zeigen, wie sehr und auf welche Weise Michael Jackson vor allem die 80-er und 90-er Jahre des vorigen Jahrhunderts beeinflusst hat. Wir haben weder eine Hommage noch eine Seligsprechung vor“.

Bilder von Seligsprechung

Die Absicht dazu mag der Besucher gern glauben. Aber dass der „King of Pop“ gar keine Überhöhung  erfährt,  ist schwer nachzuvollziehen. Wie denn auch? Die Ausstellung „Michael Jackson: On the Wall“ ist in London bereits vor drei Jahren entstanden. Damals hatten weder der Prozess gegen den Star anfangs der 2000-er noch der Tod ihres Idols dem Hype um Jackson etwas anhaben können. Außerdem – waren nicht sogar viele andere, nicht selten ebenfalls namhafte Künstler in den Bannkreis dieses ja schließlich in vielfacher Hinsicht seltsamen Menschen geraten? Andy Warhol, zum Beispiel. Oder David LaChapelle, Jordan Wolfson, Jonathan Horowitz, Yan Pei Ming und, und, und. Haben nicht etliche davon (auch auf persönlichen Wunsch des narzistischen Jackson) Bilder und Skulpturen geschaffen, welche die Grenze zum Kitsch wirklich weit überschritten? Kitsch, Kunst und Kalamitäten, also.

Equestrian Portrait of King Philip II (Michael Jackson), 2010 von Kehinde Wiley

Jawohl, auch Bilder zur Verherrlichung und Seligsprechung. Sie werden alle in der Bonner Ausstellung gezeigt. Eines gleich in der Nähe des Eingangs. Wie ein Fürst in Ritterrüstung reitet Michael Jackson auf einem Schimmel, zwei Engel halten den Lorbeerkranz über seinem Haupt. Nein, eigentlich ist das gar nicht Jackson, sondern der Spanierkönig Philipp II. Aber der trägt die Züge der Pop-Ikone.  Ein anderes  Gemälde huldigt ihm wieder, historisiert, auf einem Pferd reitend. Und der Held wird dort begleitet von einer Schar junger Knaben zu Fuß – die sämtlich das Gesicht Michael Jacksons tragen. Vor dem Hintergrund der jüngsten Pädophilie-Anschuldigungen wirken diese Bilder natürlich besonders grotesk. Aber damals, vor zehn oder 20 Jahren? Da löste die Pietà-Darstellung ihres Helden als ein Toter auf dem Schoß eines anderen liegend oder als geflügelter Erzengel Michael nach dem Sieg über den Teufel Massenextasen mit Kreisch-Orgien aus.

Moralische Neuzeit mit eigenen Maßstäben

 „Michael Jackson“, sagt Ausstellungschef Rein Wolfs, „ist mit dem Medienzeitalter Anfang der 80-er Jahre zum Star geworden. Das wussten er und seine Marketingmaschine geschickt zu nutzen. Heute, indessen, erleben wir eine moralische Neuzeit mit neuen Maßstäben“. Der Fokus liege jetzt auf Machtmissbrauch, sexuellem Missbrauch und #metoo##-Instrumentalisierung. „Das sind völlig neue Maßstäbe“. Wolfs  abschließend: „Lange hat es gedauert, bis wir dahin kamen – wahrscheinlich zu lange“.  Die Bonner Ausstellung umfasst 134 Exponate von 53 Künstlern.

FOTOSTRECKE – AUSSTELLUNG

Info:

Ort:

Bundeskunst- und Ausstellungshalle

Museumsmeile Bonn

Friedrich-Ebert-Allee 4

53113 Bonn

Tel: 0228 9171200 (Allgem. Inform. dt./engl.)

info@bundeskunsthalle.de

Dauer der Ausstellung: 22. März – 14. Juli 2019

Eintritt: € 10, ermäßigt € 6,50

Frei für alle Besucher bis einschließlich 18 Jahre und für Geflüchtete

„ZAHLE, WAS DU WILLST“ für Besucher bis einschl. 25 Jahre Di. u. Mi. 18 – 21 h

Happy-Hour-Ticket: 7 € für alle Ausstellungen Di. . Mi. 19 – 21 h, Do. u. So. 17. – 19 h.

 

 

       

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