Von Gisbert Kuhn

Autor Gisbert Kuhn

Manchmal dauert es halt ein bisschen länger, bis Forderungen eingelöst werden oder sich Vorhersagen erfüllen. In diesem Fall ziemlich genau 24 Jahre. 1995 war der Ruhrgebietsbarde Herbert Grönemeyer mit dem Song „Kinder an die Macht!“ von Bühne zu Bühne durch die Lande gezogen. Er wurde beklatscht, oft auch gefeiert. Aber bis dieser Vorschlag der Wirklichkeit zumindest ziemlich nahe kommen konnte, brauchte es doch beinahe ein Vierteljahrhundert. Immerhin sind Kinder und Heranwachsende offensichtlich jetzt drauf und dran, wenn schon die nicht die Macht (im Sinne des Wortes) an sich zu reißen, so doch wenigstens den so genannten Gang der Dinge erkennbar zu beeinflussen.

Wie bitte? Das sei Unsinn? Ganz im Gegenteil. Die Ursache für das aktuell deutlich vernehmbare Knirschen im geölten und routinierten internationalen Politikgetriebe trägt sogar einen Namen – Greta Tintin Eleonore Erman Thunberg. Das ist (wie inzwischen wohl jeder auch nur oberflächlich am täglichen Leben Interessierte weiß) eine 16-jährige Schülerin und kommt aus Schweden.  Sie ist mittlerweile das Idol von zehn-, vielleicht sogar hunderttausenden hauptsächlich junger Menschen. Und es sind vor allem zwei Begriffe, mit denen das Mädchen aus dem Norden ihre Gefolgschaft auf die Straße und selbst einflussreichste Staatenlenker zum Nachdenken bringt: „Klima“ ist der eine, und „Panik“ der andere. Im Klartext, wenn auch sehr vereinfacht: Der weltweite Klimawandel sei so dramatisch, dass Panik angesagt sei.

Wenn die nun schon seit vielen Wochen an den Freitagen zu verfolgenden  Streiks ungezählter Schüler für die Rettung unseres Planeten auf Deutschland beschränkt wären, könnte man das vielleicht noch als „typisch“ abtun. Denn hierzulande liegt es in der Tat möglicherweise in den Genen, sich bei jeder auch nur ein wenig außerhalb des Gewohnten abspielenden Gelegenheit angstvoll in panische Stimmungen zu versetzen. Waldsterben, Volkszählung, Nachrüstung… Beispiele dafür gibt es genug. Und selbst wenn eine erkleckliche Anzahl von Pennälern die Freitagsstreiks als willkommene Gelegenheiten zum Schwänzen nutzen sollte, so steckt doch ganz offensichtlich in den meisten ein innerer Antrieb zum „Handeln jetzt“!

Man mag, aus guten Gründen, Vorbehalte gegen solche – vor allem aus Emotionen kommenden – Massentriebe haben. Der Autor hier bekennt sich ausdrücklich dazu. Aber das ändert nichts an dem Phänomen, das sich gerade mit der und um die junge Schwedin vollzieht. Es erklärt auch nicht die Geschwindigkeit, mit der die 16-Jährige keineswegs nur Gleichaltrige in ihren Bann zieht. Vor rund einem halben Jahr – im November 2018 – fand Greta Thunberg erstmals breitere Erwähnung in den Medien. Danach ging es Schlag auf Schlag mit ihren Auftritten: Dezember 2018 UNO-Klimakonferenz in Kattowitz, Januar 2019 Weltwirtschafts-Forum in Davos, Februar 2019 Rede vor dem Umweltausschuss des Europaparlaments, April dieses Jahres Audienz beim Papst. Im selben Monat riss sie mit ihren apokalyptischen Warnungen vor dem klimatisch bedingten Weltuntergang auch noch die Abgeordneten des britischen Unterhauses aus deren Brexit-Starre.

„Gebt den Kindern das Kommando“, heißt es in dem Grönemeyer-Song. Die Welt gehöre, fährt er fort, in Kinderhände. Denn Kinder seien, liest man an anderer Stelle, „die wahren Anarchisten, lieben das Chaos, räumen ab. Kennen keine Rechte, keine Pflichten. Ungebeugte Kraft, massenhaft ungestümer Stolz“. Ob sich der schon erwähnte Lauf der Dinge tatsächlich in Richtung der Grönemeyer-Vision bewegen wird, erscheint sicher eher unwahrscheinlich. Dass sich jedoch aus der Massenbewegung heraus etwas Neues entwickeln könnte, wäre nicht ungewöhnlich. Und zwar nicht bloß, weil „die Jugend“ mit ihrer Greta-Begeisterung unübersehbar auf sich aufmerksam gemacht hat, sondern weil sie von den Etablierten inzwischen bereits regelrecht umgarnt wird.

Und zwar mit Ködern, die immer mal wieder – vor allem von sozialdemokratischer Seite – aus der besonders vor Wahlen hervorgekramten Werbekiste entnommen werden. Immer wiederkehrendes Beispiel: Absenkung des Wahlalters. Dieses liegt heute (genau wie die Mündigkeit) bei 18 Jahren. Jetzt zaubert die zur deutschen SPD-Spitzenkandidatin für die Europawahl bestimmte Bundesjustizministerin Katarina Barley erneut die Idee aus dem Zylinder, diese Grenze auf 16 Jahre runterzustufen. Und nun – aufgepasst – schafft es die ja immerhin juristisch geschulte Politikerin tatsächlich, zwei Schlussfolgerungen als „passend“ vorzulegen, die in Wirklichkeit einander total widersprechen. Im Alter von 16 Jahren, befindet Katarina Barley, seien junge Menschen „natürlich“  imstande, das Geschehen daheim und in der Welt richtig einzuordnen und die Politik mit ihren Stimmen entsprechend zu beeinflussen. Dem mag man noch folgen oder nicht. Aber dass 21-Jährige Gewalttäter noch nicht die notwendige Reife haben sollen, die Tragweite ihres Tuns zu überblicken und deshalb weiterhin nach Jugendstrafrecht behandelt werden müssten – so etwas entzieht sich nun wirklich der menschlichen Logik.

Kinder an die Macht! Herbert Grönemeyer war ja nicht der erste, dem eine bessere Welt vorschwebte, wenn diese nicht von Machtstrebern, Finanzhaien, Wirtschafts-Oligarchen und Polit-Jongleuren beherrscht würde. 1949 (also 46 Jahre zuvor) hatte Erich Kästner die „Konferenz der Tiere“ geschrieben. Es war sein erster Roman nach dem Krieg und handelt davon, dass nach einer wieder einmal gescheiterten Weltkonferenz der Menschen die Tiere – angeführt vom Löwen Alois, dem Elefanten Oskar und der Giraffe Leopold – beschließen, die Sache selbst in die Hände zu nehmen. Aus jedem Kontinent wird dazu ein Kind ins Kapstädter „Hochhaus der Tiere“ eingeladen, um mitzuarbeiten am Bemühen, den von Menschen verursachten Kriegen, der Armut und der Ungerechtigkeit auf Erden ein Ende zu bereiten. In Kästners Buch gelingt das den Tieren. Deshalb, unter anderem, greift man auch immer wieder gern zu dem Kästner-Buch.

 

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