Von Günter Müchler

Autor Günter Müchler

Greenpeace inszeniert sich gern in Robin-Hood-Manier. Man kapert Bohrtürme, klettert auf Fabrikschlote oder lässt Aktivisten per Gleitschirm über Fußballstadien segeln. Im Juni endete das Spektakel mit einem Fiasko. Der Pilot kollidierte mit der Dachkonstruktion der Münchner Allianz Arena und machte eine Bruchlandung, wobei zwei Menschen verletzt wurden. Weil die Luftakrobatik zwar schöne Fernsehbilder kreiert, aber riskant ist, verlegt sich die Umweltorganisation jetzt auf unterirdische Aktivitäten. Eine Klage soll den VW-Konzern zwingen, seine Unternehmensstrategie künftig nach den Vorstellungen von Greenpeace auszurichten. Was die Frage aufwirft, wer in diesem Land für die Klimapolitik zuständig ist: der Gesetzgeber oder die grüne Lobby.

Hinter der beim Landgericht Braunschweig eingereichten Klage stehen die beiden Geschäftsführer von Greenpeace-Deutschland sowie ein Mitglied der Fridays-for-Future-Bewegung. Die Kläger argumentieren, der Wolfsburger Autobauer tue zu wenig gegen die Erderwärmung und müsse deshalb früher aus der Verbrennertechnik aussteigen. Der Rechtsstreit hat eine Pointe. Er zielt auf einen Konzern, der sich unter der Regie von Vorstandschef Diess mit einem Investitionsvolumen von 35 Milliarden Euro bis 2025 als Vorkämpfer der Elektromobilität versteht.

Mut gemacht hat Greenpeace ein anderer Prozess, in dem kürzlich der niederländisch-britische Ölmultis Shell den Kürzeren zog. Ein Gericht in Den Haag gab Umweltschutzorganisationen Recht und verdonnerte Shell dazu, den Ausstoß von Kohlendioxid bis 2030 um 45 Prozent im Vergleich zu 2019 zu vermindern. Dadurch animiert, will Greenpeace-Deutschland nun eine eigene Klima-Trophäe.
Fachleute gehen davon aus, ein Sieg von Greenepeace in Braunschweig würde eine Klage-Kaskade auslösen. Zivilgerichte könnten der Reihe nach Großfirmen die Unternehmensziele vorschreiben. Die Wirtschaftsverfassung wäre ausgehebelt, der Willkür Tür und Tor geöffnet, denn die Klimaziele sind fluid und die Wege, sie zu erreichen, umstritten.

In der Umweltszene ist Greenpeace ein Dinosaurier, aber keineswegs der einzige Akteur. Die Zahl der Verbände ist in den vergangenen Jahren ins Unüberschaubare gewachsen. Alle diese Organisationen finanzieren sich aus Spenden. Die Folge ist eine Ressourcen-Konkurrenz, die natürlich wiederum die Kampagnen-Politik beeinflusst: Nur wer besonders knallige Kampagnen führt, kann verhindern, dass sich der Spendenstrom umorientiert.

Die Umweltverbände schwimmen im Moment auf einer Welle, die ihresgleichen sucht. Wer ein Umweltlabel vorweist, muß den Vorwurf, als Lobby unterwegs zu sein, nicht fürchten. Das Lobby-Wort ist im Mainstream des Dafürhaltens für Kapitalisten reserviert. Es gibt eine „Atom-Lobby“, eine „Automobil-Lobby“. Ihre Agenten gelten als Minenhunde gefährlicher Partikularinteressen, während Vertretern grün angestrichener Verbände wie selbstverständlich unterstellt wird, sie arbeiteten am Webstuhl des Allgemeinwohls.

Dabei sind viele Verbände, die unter der eleganten Bezeichnung NGO (also: Nichtregierungs-Organisation) daherkommen, bei näherem Hinsehen ganz normale pressure groups. Sie bearbeiten Parteien, liefern Medien zu und antichambrieren bei Abgeordneten und Ministerialen. Dingfest machen läßt sich das Wesen des Lobbyismus am besten dann, wenn man den Maßstab der Verantwortung an ihre Arbeit anlegt. Wer Lobby betreibt (was an sich nichts Verwerfliches ist) unterscheidet sich vom Politiker erstens dadurch, dass er keine demokratische Ermächtigung besitzt und sich zweitens in die Büsche schlagen kann, wenn seine Aktion danebengeht.

Greenpeace hat die Klage in Braunschweig mit der Notwendigkeit begründet, nicht nur dem Unternehmen, sondern auch der Politik Beine zu machen. Die dahinterstehende Anmaßung ist unverkennbar. War es bislang unstrittig, daß für die Gestaltung der Politik der Gesetzgeber zuständig ist, soll dieser Grundsatz für die Klimapolitik nicht mehr gelten.

Damit rollt auf die künftige Bundesregierung, besonders auf den grünen Partner, ein großes Problem zu. Momentan wird in den Berliner Koalitionsverhandlungen, wenn der Eindruck nicht täuscht, am intensivsten über die Wegmarken der Dekarbonisierung gerungen. Mit anderen Worten, den Ausstieg aus der Kohle. Was immer dabei herauskommt, schon jetzt ist klar, dass die Umweltlobby die Vereinbarungen für unzureichend erklären wird. Die Grünen sind alarmiert, der Brief, den die Co-Vorsitzende Baerbock dieser Tage an eine Reihe von Umweltverbänden adressierte, zeugt von der Angst, Unterstützer zu verlieren und am Ende womöglich aus dem Paradies der Gutmenschen vertrieben zu werden.

In der Vergangenheit haben die Grünen gern mit den Umweltverbänden Pingpong gespielt. Solche Späße sind in der Opposition, die ja angeblich Mist ist, durchaus zulässig. In der Regierung dagegen müssen Habeck und Baerbock Farbe bekennen. Konflikte mit der Umweltlobby werden sich nicht vermeiden lassen.

Dr. Günther Müchler ist Journalist, Politik- und Zeitungswissenschaftler, war viele Jahre Korrespondent in Bonn und zum Schluss Programmdirektor beim Deutschlandfunk.

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