Von Günter Müchler

Autor Günter Müchler

Wer fremdes Eigentum missachtet, ist kein Nützling. Wer dabei erwischt wird, schadet sich selbst am meisten. Für Politiker gilt das allemal. Eine Auszeit  nehmen, in die Schämecke gehen, ist die Mindeststrafe für ertappte Sünder, Karriereende die Höchststrafe. Nur Frohnaturen wie Karl Theodor zu Guttenberg werden leicht damit fertig. Eine Frohnatur ist Franziska Giffey nicht. Die Chance, noch einmal davonzukommen, hat sie trotzdem. Sie besitzt den unbedingten Rückhalt ihrer Partei, der SPD, die in einem Zustand ist, in dem man aus Lebenserhaltung lieber alle Fünfe gerade sein lässt.

Politiker sind nicht die einzigen, welche die Laufbahn durch einen Doktortitel zu beschleunigen trachten. Aber sie sind diejenigen, die unter schärfster Bobachtung stehen. Das erklärt, weshalb man sie statistisch auffallend häufig in der Deliktkategorie Plagiat findet. Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) musste gehen, weil sie abgekupfert hatte, ebenso die FDP-Europapolitikerin Silvana Koch-Mehrin und eben Karl-Theodor zu Guttenberg. Der CSU-Star hatte zwischenzeitlich wohl an ein Comeback geglaubt. Allein, seine Partei machte ihm – anders als die SPD im Fall Giffey – keine Hoffnung, und so folgt der aus dem Paradies vertriebene Freiherr der Ersatz-Befriedigung aller Adams-Söhne: Er konzentriert sich aufs Geldverdienen.

Kann sich Franziska Giffey dem Weg ins Abseits entziehen?  Ihre Alma Mater, die FU Berlin, hat sich mit dem Fall äußerst schwergetan, über die Gründe lässt sich spekulieren. Ans Laufen gebracht durch eine Recherche der Prüfplattform VroniPlag, entschied sie zunächst auf Bewährung; sie sprach eine Rüge gegen Giffey aus, obwohl die Statuten diese Form der Ahndung gar nicht vorsehen. Als der öffentliche Druck anhielt, eröffnete die Uni eine eigene Untersuchung. Das Urteil der Kommission, die Aberkennung des Doktorgrades, erfolgte jetzt einstimmig. Der Kommissionsbericht bestätigte die Serientäterschaft Giffeys, die schon VroniPlag festgestellt hatte. 69 Mal schrieb die Doktorandin fremde Texte einfach ab oder paraphrasierte sie ohne hinreichende Quellenangabe. Die Fülle der „Monita“ ließ der Universität keine Wahl.

Giffey hat das Urteil akzeptiert, beharrt aber darauf, sie habe beim Abfassen der Schrift „nach bestem Wissen und Gewissen“ gehandelt. Dass das „beste Wissen“ die Zitierregeln nicht einschloss, darf als erwiesen gelten. An das „beste Gewissen“ muss man nicht glauben. Die FU-Prüfkommission bescheinigte Giffey jedenfalls eine Täuschung „mindestens mit bedingtem Vorsatz“.

Giffey gehört nicht zu den Politikern, die einen so großen Skandalvorrat angehäuft haben, dass ein Streifschuss ihnen gleich den Rest gibt. Als Familienministerin im letzten Kabinett Merkel hat sie eine gute Rolle gespielt. Die Berlinerin besitzt eine sympathische Ausstrahlung. Sie ist eine Hoffnungsträgerin, wie es nicht viele in der SPD gibt. Wenn die Sozialdemokraten ihre Parteivorsitzende Saskia Eskens loswerden wollten, würde die CDU wahrscheinlich Verfassungsklage erheben.

Giffey Problem liegt in der Sache. Als im Mai die ersten Gerüchte von der bevorstehenden Aberkennung ihres Titels durchdrangen, verzichtete sie auf das Ministeramt, nicht aber auf ihren Anspruch, als Spitzenkandidatin in den Kampf um das Rote Rathaus in Berlin zu gehen. Wie kann es sein, dass derselbe Sachverhalt, der eine Person als Bundesministerin disqualifizert, für eine Regierende Bürgermeisterin in spe ein Na-wenn-schon sein soll? Die Frage werden die Berliner beantworten müssen; Giffey hat sie bisher nicht beantwortet.

Womöglich kommt Giffey die Schwindsucht entgegen, unter der die Akzeptanz des Urheberrechts mittlerweile ganz allgemein leidet.  Dass man ein Auto nicht stehlen darf, bloß weil es einem gefällt, begreifen die meisten. Dagegen begreifen (und akzeptieren) immer weniger, dass auch Texte Eigentumsschutz genießen und nicht zu freier Verfügung stehen. Schuld daran ist die Selbstbedienungsmentalität der Internetnutzung, die von den schrägen Philosophen des www als Ausdruck der Freiheit verteidigt wird. Wenn Politiker durch ihr Handeln diese Tendenz noch unterstützen, kann einem nur schwarz vor Augen werden.

Ein Letztes: Im Zusammenhang mit dem Doping im Spitzensport hört man dann und wann die Frage, weshalb es nicht erlaubt sein soll, sich mit allen Mitteln in Hochform zu versetzen. Die Antwort lautet: Weil das unfair wäre gegenüber den Mitsportlern. Was das Doping im Sport ist, ist das Plagiieren in der Wissenschaft. Die große Mehrheit der Doktoranden müht sich redlich, regelkonform zum Ziel zu gelangen. Eine Minderheit dagegen spart sich Zeit und Mühe, indem sie fremdes Eigentum als Eigenleistung ausgibt. Das ist unfair. Frau Giffey, der erzieherischer Ehrgeiz ja nicht fremd ist (siehe das „Gute Kita-Gesetz“), sollte dem Gedanken eigentlich folgen können und ihre Berliner Kandidatur aufgeben. Zu Recht fragte der „Tagesspiegel“ kürzlich: „Diese Frau will eine Wissenschaftsmetropole regieren?“ 

Dr. Günter Müchler ist Journalist, pomovierter Historiker, Politik- und Zeitungswissenschaftler. Er war jahrelang Programmdirektor beim Deutschlandfunk.   

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