Geld und Spiele

Nun ist „Deutschland“ im Halbfinale der Fußball-Europameisterschaft ausgeschieden. Oder sagen wir richtiger: die deutsche Nationalmannschaft, die von Bundestrainer Jogi Löw aufgebotene Kicker-Elite aus dem größten Sportverband der Welt, hat gegen das französische Team verloren. Schade! Denn eigentlich waren die Jungs um Manuel Neuer und Bastian Schweinsteiger besser als „les bleus“. Sie haben halt keine Tore geschossen. Und bekanntlich entscheiden nur diese über Sieg und Niederlage. Müßig also, jetzt noch darüber zu streiten, ob einfach nur Pech oder vielleicht doch auch eine gehörige Portion Unvermögen die Ursache war.
Jetzt ist in den allermeisten Stadien, zumindest auf diesem Kontinent, zunächst einmal Pause. Und auch „unsere“ Balltreter nutzen die freie Zeit, um entweder (wie Schweinsteiger) pompös zu heiraten, oder – wie die meisten anderen – irgendwo am Strand die Muskeln ausruhen und die Seele baumeln zu lassen. Aber das bedeutet natürlich nicht, dass sich das Kapitel Fußball insgesamt eine Ruhephase verordnet hätte. Im Gegenteil, in den kommenden Wochen wird es erst richtig rund gehen. Nicht auf dem grünen Rasen, zwar. Dafür aber umso heftiger hinter den Kulissen. Konkret – auf dem sogenannten Transfermarkt.
Championate sind Leistungsmessen
Denn, gleichgültig ob Welt- oder Europameisterschaften, internationale Championate sind immer zugleich auch Leistungsschauen, auf denen die sportliche Qualität der Kicker mit deren möglichem Marktwert abgeglichen wird. Die Summen, um die es mittlerweile dabei geht, bewegen sich in zum Teil Schwindel erregenden Höhen. Dass für einen Spieler bis zu 50 Millionen Euro und mehr gezahlt werden, ist längst keine Ausnahme mehr. Mitunter gehen ja sogar bereits 17- bis 20-Jährige für etwa 20 Millionen Euro Ablösesumme „über die Theke“.
Was passiert da eigentlich? Natürlich ist das eine Art Menschenhandel. Aber hier werden ja keine Sklaven verkauft, sondern alles geschieht absolut freiwillig – wenn auch unter tatkräftiger Mithilfe von Zwischenhändlern, namens Berater. In aller Regel bleibt dabei selbstverständlich auch für die beteiligten Spieler genug übrig, um (bei vernünftigem Umgang mit dem vielen Geld) nach Ende der „aktiven“ Zeit ein gutes Auskommen zu haben. Zumal die kleine Minderheit der Großverdiener ja auch noch sehr anständige Gehälter von ihren Vereinen bezahlt bekommt. Es sind Fälle bekannt, wo Kicker an einem einzigen Tag mehr erhalten als manche „normale“ Arbeitnehmer in einem ganzen Jahr verdienen!
Keine „normalen“ Maßstäbe
Nun wäre es natürlich leicht, die moralische Keule hervorzuholen. Klar, es stellt sich angesichts der schier atemberaubenden Summen die Frage nach Leistung und Gegenleistung. Und, logisch auch, dass nach einer Art Gleichgewicht zwischen den Darbietungen der höchst dotierten Kicker und der manuellen bzw. geistigen Maloche der Normalbürger gesucht wird. Mit anderen Worten – wo liegt hier die Gerechtigkeit? Und kann man überhaupt in irgendeiner Weise von einer solchen sprechen? Die Antwort ist ebenso nüchtern wie einfach: Nein, man kann es nicht. Mehr noch, es verbietet sich fast von allein, mit derartigen moralischen Begriffen zu argumentieren. Auf diesem Feld gibt es keinen Platz für „normale“ Maßstäbe.
Was wir Wochenende für Wochenende in den heimischen Stadien oder gar bei internationalen Turnieren erleben, ist ganz einfach die moderne Fortsetzung dessen, was vor 2000 Jahren im Römischen Reich „Brot und Spiele“ waren. Nur mit dem Unterschied, dass die damaligen Gladiatorenkämpfe, Seeschlachten und Raubtierfütterungen mit Christen für das Volk umsonst waren. Es waren Massenvergnügungen, um die Leute ruhig und bei Laune zu halten. In unseren Tagen hingegen muss man, beispielsweise für eine Dauerkarte, schon richtig tief in die Tasche greifen. Und trotzdem (Beispiele Dortmund oder Schalke) sind die Arenen gerade in wirtschaftlichen Problemgebieten selbst bei mittelmäßigen Begegnungen regelmäßig rappelvoll. Liegt das vielleicht daran, dass – genau wie im „alten Rom“ – das spannende oder vergnügliche Massen-Erlebnis eine Flucht aus dem grauen Alltag ermöglicht?
100 000 Euro EM-Prämie
Um wenigstens hier Gerechtigkeit walten zu lassen, sei ausdrücklich noch einmal unterstrichen, dass von den oben in Rede stehenden Summen nur eine verschwindend kleine Kicker-Minderheit profitiert. Auch in der deutschen Bundesliga ist die Zahl der wirklichen Großverdiener durchaus überschaubar. Dennoch stellt sich schon die Frage, ob und wie weit im inzwischen globalisierten Wirtschafts- und Finanzmarkt der Sektor Sport überhaupt noch ein Eigenleben führen kann. Oder, um noch einmal die gerade beendete Fußball-EM als Beispiel zu nehmen, ob sogar Nationalstaaten nicht schon längst nur noch Spielbälle für mächtige Gruppen und Organisationen sind. Frankreich „durfte“ zwar die Spiele organisieren, „durfte“ mit erheblichen Steuermitteln Stadien bauen bzw. modernisieren, „durfte“ mit Millionen-Aufwand für Infrastrukturen, vor allem jedoch für die Sicherheit sorgen – aber sein Name stand nicht einmal auf den Tafeln in den Stadien. Dort las man vielmehr: UEFA Euro 2016. Nach dem Beispiel des Fußball-Weltverbands FIFA schloss auch die UEFA millionenschwere Sponsorenverträge, zahlte aber – als noch immer „gemeinnützig“ anerkannt – keine Steuern. Wem zum Nutzen?
Na ja, es gibt da schon einige Nutznießer. Denn die UEFA zahlt ja Prämien an die Teilnehmer der Championate. So erhält der Deutsche Fußballbund (DFB) für das Erreichen des Halbfinales in Frankreich 18,5 Millionen Euro. Hätten Jogis Jungs den Europameister-Titel errungen, wären sogar 26,5 Millionen Euro von Zürich nach Frankfurt überwiesen worden. Von dieser Halbfinals-Summe zweigt der DFB wiederum 2,3 Millionen ab und bezahlt jedem aus dem Nationalkicker-Kader 100 000 Euro als Belohnung. Im Falle eines Endspielsieges wären es 300 000 Euro pro Person gewesen. Aber auch 100 000 Euro sind eigentlich nicht schlecht für jemanden, der das Glück hat, sein Hobby gleichzeitig als Beruf ausüben zu können. Tatsächlich jedoch gab es bereits im Vorfeld der EM eine finanzielle Kostprobe. Denn schon für das Überstehen der Qualifikation durften sich der DFB und seine Nationalspieler über 3,92 Millionen Euro aus der UEFA-Kasse bedanken.
Klaglose Akzeptanz des Publikums
Es sei ihnen allen alles gegönnt. Was freilich verblüfft, ist fast schon ein Phänomen. Ausgerechnet in diesem Land, in dem sowohl in der politischen wie in der gesellschaftlichen Debatte kaum ein Begriff so sehr bemüht wird wie „Gerechtigkeit“, akzeptiert das Volk offensichtlich absolut klaglos die finanzielle Ausnahme-Situation einer kleinen Gruppe. Während über Renten oder Steuern oft erbittert bis aufs Blut gestritten wird, nimmt man die Nachricht von einem maßlos erscheinenden Spielertransfer und entsprechenden Gehaltszahlungen allenfalls mit einem erstaunten Kopfschütteln zur Kenntnis. Rational lässt sich das kaum erklären. „Geld und Spiele“ – eine Kombination, die außerhalb der Realität zu stehen scheint.
Gisbert Kuhn