Von Günter Müchler

Dr. Günter Müchler

Politiker scheuen nichts so sehr wie den Aufschrei über Teuerungen und Belastungen. Lieber fördern statt fordern. Besser neue Schulden machen, als den Liebesentzug der Wahlbürger in Kauf nehmen. So funktioniert Politik in der Demokratie – normalerweise. Aber es geht auch anders. Robert Habeck, Vizekanzler und Wirtschaftsminister der Ampel-Regierung, stimmt auf harte Zeiten ein. Er meint, die Menschen würden mitziehen, sagte man ihnen die Wahrheit ungeschminkt. Es ist, sozusagen, ein Großversuch am offenen Herzen, den der grüne Minister unternimmt. Die internationale Krise soll zum Kraftquell der Nation werden. Habecks Rechnung könnte aufgehen. Vorausgesetzt, dass die eigene (grüne) Partei sich ehrlich macht.

Sommer 2022: Wie eine Feuerwalze rasen die Hiobsbotschaften übers Land. Hitzewelle auf neuem Pegelstand, Corona-Herbst ante portas, Arbeitskräftemangel in der Pflege und am Bau. Dazu Inflation wie seit 50 Jahren nicht mehr. Und dann der Energienotstand: Deutschland, die führende Wirtschaftsmacht des Kontinents, hilflos den Launen des Gas-Schleusenwärters Putin ausgesetzt. Ein annus horribilis, ein schreckliches Jahr, mit der Climax im Winter: Wir werden frieren.

Werden wir? Genau weiß es keiner, auch Habeck nicht. Sicher ist, dass die Kosten für den Stoff, der die Temperatur im Lande regelt, durch die Decke schießen. Dieser Tage verschicken die Versorger ihre Blauen Briefe: Preissteigerungen pro Kilowattstunde bis zu 100 Prozent und mehr. Damit nicht genug, dräut im Oktober eine neue Gasabgabe. Sie soll nach dem Willen der Bundesregierung verhindern, dass Energieunternehmen wie Uniper insolvent werden. Nochmals werden die Verbraucher zur Kasse gebeten – Mieter genauso wie Vermieter.

Robert Habeck begegnet diesem Ansturm schlechter Nachrichten mit breiter Brust. Ander als der Kanzler, der in Deckung geht, anders auch als die Außenministerin, die Volksaufstände im Herbst an die Wand malt, erklärt der Wirtschaftsminister, was schon unternommen worden ist: Damit Firmen, die vom Gas abhängen, weiter produzieren können. Und damit die Haushalte ohne Totalschaden über den Winter kommen. Habecks Hauptbotschaft aber ist das Sparen. Eine Großkampagne soll aufklären, wie ein Dreh am kleinsten Rädchen, wenn jeder es tut, allen helfen kann: Kürzer duschen, weniger heizen, Kühlschrank runterstellen, Gefrierfach häufiger abtauen, verbrauchsbewusster Auto fahren. Der Staat hat sich schon zum Sparen verpflichtet. Das Beamtenheer in Ministerien und Rathäusern muss mit gedrosselten Klimaanlagen und geringerer Raumtemperatur rechnen. Das Reichstagsgebäude in Berlin wird künftig bei Nacht nicht mehr angestrahlt. Es wird dunkler werden in Deutschlands Innenstädten und kälter in den Häusern.

Wie ein Wanderprediger reist Habeck gegenwärtig durchs Land. „Wer Energie spart, schützt das Klima, stärkt das Land und schont den Geldbeutel.“ Es ist diese Trilogie von Vernunftgründen, die der Grünen-Politiker auffährt wie ein Ceterum censeo. Ja, das Leben wird teurer werden, sagt er. Opfer müssen gebracht werden. Aber Bürger, die sparen, kommen besser durch den Winter.  Und sie tun etwas für gute Zwecke. Wenn sie frieren, frieren sie fürs Klima und frieren fürs Land, indem sie Putins Erpressung mit dem Behauptungswillen der Demokraten begegnen.

Habeck hat verstanden, dass es zwei Möglichkeiten gibt, auf großrahmige Krisen zu reagieren. Entweder indem man die Zeitläufte beklagt und klein beigibt. Oder indem man der Herausforderung die Stirn bietet wie Winston Churchill, der Klassiker der Selbstbehauptung. Als England im Frühling 1940 allein gegen Hitler-Deutschland stand, schenkte er seinen Landsleuten reinen Wein ein: „I have nothing to offer but blood, toil, sweat and tears“ („Ich habe nichts anzubieten als Blut, Mühsal, Schweiß und Tränen“). Bis jetzt hat Habeck Churchill noch nicht zitiert, auch nicht Ludwig Erhard, der einst den Bundesbürgern ins Stammbuch schrieb, wer den Gürtel nicht enger schnallen wolle, „muss sich eben Hosenträger besorgen“.

Rhetorisch auf der Mitte zwischen Churchill und Erhard, teilt Habeck die Überzeugung der beiden Denkmalsgrößen, dass man die Menschen in schwieriger Zeit hinter einem als vernünftig erkannten Zweck versammeln und dass die Nation gestärkt aus der Krise hervorgehen kann. Hätte er damit recht, wäre das ein Riesenerfolg in einer Zeit, in der die Nähte, die die Gesellschaft zusammenhalten, von linker Identitätspolitik aufgetrennt werden. Es wäre auch die richtige Antwort an Putin, der den Westen für dekadent und nicht verteidigungsbereit hält.

Ob Habeck sich mit seinem Sammlungsappell durchsetzt, ist keineswegs ausgemacht. Vor einem Durchmarsch steht er nicht. Schon bisher hat er seiner Partei, den Grünen, eine Menge zugemutet. Die Einrichtung von Flüssiggasterminals, die Steigerung der Ölimporte und die Reaktivierung von Kohleverstromern bedeuten immerhin nicht weniger als das Eingeständnis, dass eine Politik, die nur auf die Erneuerbaren setzt und ansonsten aus Tabus besteht, genau in das Jammertal geführt hat, in dem sich Deutschland momentan befindet.

Erwartungsgemäß sind Habecks Aufrufe zum Sparen bei Umweltverbänden auf die gewohnt arrogante Ablehnung gestoßen. Was es denn bringe, den Duschkopf zu regulieren, wo man doch bei der Gebäudesanierung ansetzen könne, fragen die professionellen Umweltlobbyisten. Sie haben zweierlei nicht begriffen: Dass man Menschen nur störrisch macht, wenn man sie mit immer neuen Zumutungen überfällt. Und dass sich Verhaltensänderungen nur dann erreichen lassen, wenn man zuvor Haltung erzeugt hat.

Geboten ist deshalb in der Tat vor allem Ehrlichkeit. Bevor die Bürger zu Opfern bereit sind, wollen sie davon überzeugt sein, dass die Politik das Ihre tut, um den Notstand einzudämmen. Und nicht aus ideologischen Gründen funktionierende und klimaschonende Atommeiler vom Netz nimmt.  

 

Dr. Günther Müchler ist Journalist, Politik- und Zeitungswissenschaftler, war viele Jahre Korrespondent in Bonn und zum Schluss Programmdirektor beim Deutschlandfunk.

 

 

 

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