Freiheit mit Status und Wackedackel
Geliebt. Gebraucht. Gehasst. Die Deutschen und die Autos
Tatsächlich, da sitzt er! Beinahe hätte man ihn übersehen. Ihn, die kleine braune Figur aus Plastik, über die wir doch so oft geschmunzelt oder (wegen des offenkundig skurrilen Geschmacks ihrer Besitzer) mindestens ebenso häufig den Kopf schüttelten wie sie selbst – der Wackeldackel. Zumeist befand sich der kleine Kerl im Auto hinten auf der Hutablage, gegen Stöße und Schlagloch-Erschütterungen in der Regel gut abgesichert, zwischen einer gehäkelten Klorollen-Haube und einem ebenso künstlerisch gefertigten, nicht selten mit grellbunten Wollblumen verzierten Paradekissen. 52 Jahre, man mag es glauben oder nicht, ist das putzige Dackelkerlchen mit dem gelenkigen Hals mittlerweile alt – und es wird tatsächlich noch immer von einer Firma in der Nähe von Coburg hergestellt, deren damaliger Besitzer Oskar Schneider es 1965 entwickelt und in Italien (!) hatte patentieren lassen.
Neue Ausstellung im Bonner Haus der Geschichte
Der Wackeldackel ist, ähnlich wie der Jahre später „geborene“ und zumeist die Armaturenbretter zierende Wackel-Elvis, nur ein kurioses Stück der neuen Sonderausstellung im Bonner Haus der Geschichte. Sie steht unter dem Begriff „Geliebt. Gebraucht. Gehasst. Die Deutschen und ihre Autos“. Mehr als 800 Exponate präsentieren sich den Besuchern – von der Staatskarosse Mercedes 600 Pullman über den Führerschein-Lappen“ des TV-Moderators Günter Jauch bis zu den DDR-Trabis, von denen sich freilich der (als Foto zu sehende) luxuriöse Range Rover mit Automatik-Verdeck und spezieller Gewehrauflage des Jagd versessenen DDR-Staatsrats-Vorsitzenden Erich Honecker deutlich unterschied.
Die aufwändig und dennoch übersichtlich gestaltete Schau spiegelt in mehrfacher Hinsicht ein wichtiges Stück deutscher Geschichte wider – sie beleuchtet die Sehnsüchte der Menschen nach dem Krieg, lässt immer Raum für den sich wandelnden Zeitgeist, erklärt die vom Gegenstand Automobil ausgehende Faszination als Objekt der individuellen Freiheit mit vorzeigbarem Status-Charakter, aber auch die Veränderungen in der Gesellschaft in Richtung Sorge um Umwelt und Lebensqualität. Anders ausgedrückt: Wer durch den in Form einer Waschanlage mit schwarz, rot, goldenen Bürsten gestalteten Eingang die Ausstellung betritt, wird sie am Ende mit hoher Wahrscheinlichkeit mit gemischten Gefühlen wieder verlassen. Denn das Auto mit all seinem Drum und Dran weckt in den Menschen nun einmal Emotionen – gleichgültig ob Hochstimmung oder die gegenteilige Kehrseite.
Natürlich werden es die großen Blickfänger sein, die Augen glänzen und bei Vielen Erinnerungen wach werden lassen. Das gilt gewiss in erster Linie für das tatsächlich noch erhaltene Original des gelb-blauen Kult-Fahrzeugs aus der 1991 gedrehten Film-Komödie „Manta, Manta“ mit Til Schweiger und Tina Ruland – ganz klar, mit dem für den aufgemotzten Opel-Flitzer unverzichtbaren Fuchsschwanz am Rückspiegel, aber auch mit einer Schweiger-Widmung vorn rechts auf der Kühlerhaube. Und dann der blaue „Melkus RS 1000“! Der Name „Melkus“ wird vermutlich nur ganz wenigen Westbürgern ein Begriff sein, und dann muss es sich schon um eingefleischte Motorsport-Freaks handeln. Ende der 50-er Jahre hatte der Dresdner Heinz Melkus auf eigene Faust Rennwagen gebaut und durfte tatsächlich auch eine Zeitlang international starten. Später versuchte der geniale Autonarr auf „Wartburg“-Basis schnittige Sportkarossen auf die volkseigenen Straßen zu bringen. Insgesamt 101 zwischen 1969 und 1979, bis ihm die Staatsführung auch hier den Bremsklotz vorlegte. Melkus nahm an vielen West-Vorbildern Maß – Flügeltüren vom Mercedes 300, Frontansicht vom Opel GT, Mittelmotor wie beim VW Porsche usw. Dass der erfindungsreiche Konstrukteur angesichts der Mangelwirtschaft in der DDR als „Baustücke“ nicht selten auf Dinge wie Angelschnur, Waschbeckenstöpsel und ähnliches zurückgreifen musste, erhöht nur noch den Wert der Leistung dieses Mannes.
Wirtschaft und Gefühle
Tatsache ist – und das zieht sich wie ein roter Faden durch die Ausstellung -, dass kein anderes Massenprodukt so sehr mit den Deutschen, ihrer Geschichte, mit Wünschen und Sorgen verbunden ist, wie das Automobil. „Freiheit und Abenteuer“, Urlaub und Strand in Italien, Capri-Fischer, aber auch Slogans wie „Freie Fahrt für freie Bürger“, Autowerbung, Popsongs und Filme, Sehnsüchte und Hoffnungen – das war die Zeit bis in die 70-er Jahre. Umweltbelastung, Zukunftsängste, zunehmend verstopfte Städte und Autobahnen – das löste die Euphorie und Autoliebe ganz sicher nicht ab, aber es ergänzte die ursprünglich einseitig positiven Gefühle. Und dann steht ja auch noch das Thema Wirtschaft im Raum. Also die Tatsache, dass Deutschland nicht nur das führende Industrieland mit automobilem Schwerpunkt ist, sondern sich dadurch auch in einer deutlichen Abhängigkeit davon befindet. Wohin also bewegt sich das Thema Auto? Hier lässt die neue Sonderausstellung im Haus der Geschichte die Antwort offen.
Gisbert Kuhn
Haus der Geschichte
Willy-Brandt-Allee 14
53113 Bonn
Tel: 0228 91 65 109
Ausstellung:
Geliebt. Gebraucht. Gehasst. Die Deutschen und ihre Autos
Vom 10. 03. 2017 – 1. 01. 2018
Geöffnet:
Di – Fr. 9 – 19 Uhr
Sa/So/Feiertage 10 – 18 Uhr
Eintritt frei