Weirichs Klare Kante

Dieter Weirich

 Gregor Gysi beklagte einst ihr Faible für „das Alte in der DDR“, weil sie sich in der von ihm geführten postkommunistischen PDS gegen Reformen wandte. Jetzt strebt die 55 Jahre alte, aus der Linkspartei ausgetretene Sahra Wagenknecht, die wegen ihres Engagements in der linksextremistisch eingestuften „Kommunistischen Plattform“ neun Jahre vom Verfassungsschutz beobachtet wurde, nach ganz Neuem.

Mit dem vor noch nicht einmal einem Jahr gegründeten „Bündnis Sahra Wagenknecht – Vernunft und Gerechtigkeit“ (BSW) könnte sie am kommenden Sonntag, Umfragen zufolge, die Parteienlandschaft bei den Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen kräftig umpflügen. Sie könnte Schicksal bei den Regierungsbildungen spielen, eine Selbstverständniskrise bei der CDU/CSU einleiten und der – ihrer Auffassung nach – „schlechtesten Bundesregierung aller Zeiten“ die rote Karte zeigen.

Für CDU-Geschäftsführer Torsten Frei ist das BSW zwar inhaltlich eine „blackbox“, doch hat die oft als „Salon-Marxistin“ etikettierte Chefin des Polit-start-ups das Ziel definiert, “keine Linke 2.0.“ zu sein. Das BSW gehört zu den Putin-Verstehern, fordert eine schnelle Beendigung des Ukrainekrieges, tritt für einen Stopp von Waffenlieferungen ein, ist für ein Moratorium bei der EU-Erweiterung, verlangt aber auch einen schärferen Kampf gegen die irreguläre Migration.

Mit der rechtsextremen AfD, für die das jüngste islamistische Terror-Attentat von Solingen vermutlich ein weiteres Konjunktur-Hoch ist, und auch den Grünen will Wagenknecht nichts zu tun haben. In Thüringen kann sie sich aber eine Koalition mit dem CDU-Hoffnungsträger Mario Voigt gegen den AFD-Vormann Björn Höcke vorstellen. Ginge allerdings die BSW-Spitzenkandidatin Katja Wolf, die kürzlich bei den Linken ausgetretene bisherige Oberbürgermeisterin von Eisenach, aus der Abstimmung stärker als Voigt hervor, sollte sie mit den Stimmen der CDU zur Regierungschefin gemacht werden. Dafür würde sich das BSW in Sachsen als Wahlhelfer für den mit der AfD in Umfragen gleichauf liegenden Ministerpräsidenten Michael Kretschmer revanchieren.

Ehemalige DDR-Bürgerrechtler warnen vor dem „nationalen Sozialismus“ der „Lügnerin Wagenknecht“, auch in der CDU gibt es Skepsis. Machtpolitischer Pragmatismus mit dem Ziel der Regierungsfähigkeit könnte freilich am Ende bestimmend sein.

Dieter Weirich (Jg. 1944), gelernter Journalist, kommentiert jede Woche mit spitzer Feder seine Sicht auf das aktuelle Geschehen in rantlos; mit freundlicher Genehmigung der “Zeitungsgruppe Ostfriesland (ZGO)”. Weirich war von 1989 bis 2001 Intendant des deutschen Auslandsrundfunks Deutsche Welle. Zuvor gehörte er eineinhalb Jahrzehnte als CDU-Abgeordneter dem Hessischen Landtag und dem Deutschen Bundestag an, wo er sich als Mediensprecher seiner Partei und als Wegbereiter des Privatfernsehens einen Namen machte. Außerdem nahm er Führungspositionen in der PR-Branche in Hessen wahr. Weirich, der sich selbst als “liberalkonservativen Streiter” sieht, gilt als ebenso unabhängig wie konfliktfreudig.

- ANZEIGE -