Autor Gisbert Kuhn

Eine alte Volksweisheit sagt: „Es gibt nichts Schlechtes, das nicht auch etwas Gutes hätte“. Einfach, aber wahr. Beispiel: Die hierzulande seit Beginn des Flüchtlingsstroms im September 2015 herrschende Aufregung mit wachsender Ablehnung und Hass bis hin zur nackten Gewalt auf der einen Seite sowie gedankenlose, ja völlig weltfremde Propagierung einer unreflektierten, jegliche Kontrollen ablehnende „Willkommenskultur“ auf der anderen. Wie die Lemminge rannten die Anhänger der einen wie der anderen Gesinnung hinter ihren jeweiligen Wortführern her. Und tun das noch immer. Einmal eine Pause einzulegen, vielleicht sogar eine andere Meinung wenigstens anzuhören – bloß nicht! Das hätte ja möglicherweise Nachdenken auslösen und liebgewonnene einfache Denkstrukturen ins Wanken bringen können!

Risse im Denkbeton

Nicht, dass sich mittlerweile an diesen Verhaltungsmustern etwas grundsätzlich verändert hätte. Aber immerhin deuten einige Indizien auf Risse im bislang scheinbar unbezwingbaren Denkbeton hin. So mehren sich etwa auf Seiten der „Wohlmeinenden“ Stimmen von Einsicht, dass das Heer der vor allem jugendlichen Immigranten vielleicht doch nicht die Fachkräftelücke schließen und damit auch die Kassen der Sozialsysteme füllen, sondern viele davon – im Gegenteil – als wie auch immer gesteuerte Gewaltverbrecher die innere Sicherheit in Deutschland erheblich gefährden könnten. Und umgekehrt wächst offensichtlich die Erkenntnis, dass (selbst begründete) Sorgen und Ängste vor einer Überforderung der staatlichen wie gesellschaftlichen Integrationsfähigkeit keineswegs zwangsläufig Ausdruck rechtsextremen oder fremdenfeindlichen Gedankenguts sind.

Das sind beileibe noch keine revolutionären Veränderungen. Aber es ist immerhin ein Anfang, um die sich in der Vergangenheit mehr und mehr gegeneinander abschottenden „Lager“ im Land wieder in Kontakt, vielleicht sogar ins Gespräch zu bringen. Oder wenigstens die mit Vernunft ausgestatteten und zum Nachdenken Bereiten davon. Möglicherweise hat es dazu solch dramatischer Ereignisse wie jüngst beim G20-Gipel der Zerstörungsexzesse in Hamburg und der Silvesternacht 2015/16 in Köln bedurft, damit in der Mehrheitsgesellschaft nicht nur das Wissen um den hohen Wert einer weitgehend intakten Werte-„Gemeinschaft“ wieder Platz greift. Noch wichtiger ist vielmehr, dass die bürgerliche Mitte von rechts bis links auch bereit ist, sich aktiv dafür einzusetzen.

Gut gemeint, nicht gut gemacht

Das setzt, nicht zuletzt, Selbstkritik voraus und den Willen, Fehler einzugestehen. Unser Berufstand, der Journalismus, bildet da keine Ausnahme – ganz im Gegenteil. Man müsste geradezu blind und taub gewesen sein, um nicht zu bemerken, dass der Gesamtkomplex „Flüchtlinge und Asylbewerber“ in den Medien weder nachrichtlich noch in den Kommentaren in seiner ganzen Breite dargestellt wurde. Natürlich ist der hetzerische Kampfbegriff der äußersten Rechten („Lügenpresse“) nach wie vor reiner Unsinn. Wer tatsächlich glaubt (und solche Zeitgenossen gibt es halt leider wirklich), Zeitungen oder Sender würden von irgendwelchen „System“-Eliten zu gezielten Falschinformationen verpflichtet, sollte sich mithin dringend auf die Couch eines Psychiaters begeben. Allerdings ist die Wahrheit auch nicht erfreulich. Denn ganze Heere von Berichterstattern und Kommentatoren fühlten sich offensichtlich aufgerufen, vornehmlich in Tendenzen zu schreiben, die bloß „keine Fremdenfeindlichkeit“ aufkommen lassen sollten.

Das mag gut gemeint gewesen sein, gut gemacht war es freilich nicht. Hans-Joachim Friedrichs, einer der wirklich „großen“ TV-Nachrichtenleute, hat einmal gesagt, als Berichterstatter dürfe man sich nicht gemein machen mit einer Sache – auch wenn es sich um eine gute Sache handele. So ist es! Journalismus, richtig verstanden, bedeutet in erster Linie, Fakten zu sammeln und zu vermitteln. Und mögen diese der eigenen politischen oder Lebenseinstellung noch so sehr entgegenlaufen. Das verlangt der Beruf. Wohlgemerkt: Ihr Beruf. Journalisten haben kein Mandat; niemand hat sie gewählt. Ihre Aufgabe ist, zu ermitteln und zu veröffentlichen, „was“ ist. Nicht, wie sie es am liebsten hätten. Sie sind keine Missionare.

Nachdenkliche Töne

Daran sollten sich Verlage und Sender, Chefredakteure und Sensationsjäger nicht nur gelegentlich, sondern häufig erinnern, wenn sie versucht sind, unter dem Druck von Auflagenschwund und Quotenminus nicht mehr vornehmlich durch die Vermittlung überprüfter Fakten zur Meinungsbildung der Bürger beizutragen, sondern gleich vorgestanzte Meinungen zu servieren. Und sie sollten ihre Redaktionen zudem dazu anhalten, wieder mehr selber nachzudenken und eigene Meinungen zu vertreten, statt sich bei kniffligen Themen (siehe Flüchtlinge, AfD usw.) einfach einem von den so genannten Leit-Medien gesetzten Trend anzuschließen. Unter dem Druck einer wachsenden öffentlichen Kritik – und zwar keineswegs nur von weit rechts außen – hat im medialen Bereich offensichtlich ein Nachdenken eingesetzt. So „prüft“ der Deutsche Journalisten-Verband, ob die vor Jahren eingegangene Selbstverpflichtung vor dem Hintergrund der Flüchtlingswelle noch eingehalten werden kann, bei Fahndungsmeldungen in aller Regel keine Angaben über Rasse, Hautfarbe, Herkunft usw. zu machen. Im Grunde war das von Anfang an Unsinn. Denn ein Täter ist ein Täter – egal, welche Hautfarbe er hat und woher er kommt. Mit Diskriminierung hat das gar nichts zu tun, sondern mit sauberer, umfassender Information.

Dass hier ganz offensichtlich ein Prozess in Gang geraten ist, lässt sich, nicht zuletzt, an der Person der Fernseh-Moderatorin Dunja Hayali beobachten. Die 43-Jährige, im westfälischen Datteln geborene Tochter irakischer Christen aus Mossul, befindet sich seit langem schon wegen ihres, fast bedingungslosen, Eintretens für Minderheiten und damit auch für Flüchtlinge im Fadenkreuz vor allem rechter bis rechtsextremer Kreise. Nun bekennt sie in einem facebook-Beitrag, dass auch sie inzwischen in ihrer Haltung unsicher geworden sei. Hamburg, Köln, die jüngsten Gewalttaten in einem Supermarkt und in München hätten bei ihr zu Fragen geführt. Etwa: „Warum sind Menschen, die nicht bleiben dürfen, noch hier, auch wenn sie als gefährlich gelten?“ Zwar schäme sie sich sofort wieder. Aber: „Mein Geduldsfaden ist dünner geworden. Da ist dieses Frustgefühl wegen der Asylbewerber, die zu uns gekommen sind, die jetzt in Sicherheit leben und vom Staat, von uns allen, unterstützt werden und die dann Straftaten begehen, sich respektlos verhalten, Frauen unterdrücken, Betreuer angreifen und sich Hilfsangeboten verweigern. Das geht nicht“.  Nachdenkliche Worte einer mutigen Frau.

In Bewegung geraten

Noch einmal: Noch sind die Fronten im Land nicht aufgebrochen, noch stinken die Hasstiraden und Beschimpfungs-Kloaken in den so genannten sozialen Medien unvermindert zum Himmel. Aber es sind Anfänge zu beobachten, Klüfte zu überwinden. Und mitunter freut man sich ja über Kleinigkeiten. Möglicherweise steht irgendwann dann ja wirklich das Ende des Zugs der gedankenlosen Schimpf-Lemminge an.

Gisbert Kuhn

Ihre Meinung an: gisbert.kuhn@rantlos.de  

    

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