Wolfgang Schäuble ist 80 Jahre alt/Ein halbes Jahrhundert im Bundestag

Von Gisbert Kuhn

Bonn, 01.02.1989: Kabinettsitzung: Foto: v.l.n.r.: Au§enminister Hans-Dietrich Genscher, Bundeskanzler Helmut Kohl und Wolfgang Schaeuble, Chef des Bundeskanzleramtes ©seppspiegl

In nahezu allen Quizsendungen (und davon gibt es, weiß Gott, ziemlich viele) unserer Fernsehsender taucht irgendwann einmal die Frage auf, wer denn wohl den Vertrag unterzeichnet habe, mit dem am 31. August 1990 in Bonn die deutsche Wiedervereinigung besiegelt wurde. Und mit schöner Regelmäßigkeit erfolgt zumeist die Antwort: Helmut Kohl. Tatsächlich war der damalige Bundeskanzler, ohne jede Frage, einer der Hauptakteure beim Zustandekommen jenes historischen Ereignisses. Doch unterschrieben hat Kohl das Dokument nicht. Das taten vielmehr (für die Bundesrepublik) der seinerzeitige Chef des Kanzleramtes, Dr. Wolfgang Schäuble, und (für die in Auflösung begriffene DDR) der Staatssekretär Günther Krause. Diese Beiden hatten die Vereinbarung auch ausgehandelt.

Schäuble feiert soeben seinen 80. Geburtstag. Damals war er 47 Jahre alt, ein für jene Zeit junger Politiker. Trotzdem hatte Helmut Kohl im Wesentlichen ihm die Aufgabe übertragen, die weit gefächerten Arbeiten bei der Vorbereitung und Umsetzung des bis dahin historisch einmaligen Werks zu managen und koordinieren, zwei weltanschaulich total gegensätzliche Gesellschaftssysteme möglichst komplikations- und schmerzlos miteinander zu verbinden. Und das, obwohl die Menschen auf beiden Seiten infolge der 4o Jahre lang währenden Trennung völlig unterschiedliche Lebensläufe zu verzeichnen hatten und – was viele im Westen mitunter nicht einmal ahnten, geschweige denn wussten – die wirtschaftliche Lage und der industrielle Zustand im Osten verheerend waren. Dennoch, oder vielleicht sogar gerade deswegen, bezeichnet der Badener jene schwierige und nicht selten auch dramatische Zeit als die wichtigste und auch beglückendste in seiner politischen Laufbahn.

Besseres Sitzfleisch als August Bebel

Wolfgang Schäuble wurde am 18. September 1942 in Freiburg (Breisgau) geboren. Angeblich, behauptet er wenigstens, hat er seiner Frau fest versprechen müssen, kein „Berufspolitiker“ zu werden. Sollte er das tatsächlich geschworen haben, so wäre das keineswegs jetzt erst als Meineid zu werten. Denn schon 1972, also noch im politischen Juniorenalter von 30 Jahren, zog der Jurist und Finanzexperte vom Schwarzwaldrand erstmals in den Deutschen Bundestag ein und holte seitdem jedes Mal wieder das Direktmandat im Wahlkreis Offenburg. Das ist einzigartig nicht nur in der Geschichte des deutschen Nachkriegs-Parlamentarismus, sondern in der deutschen Historie überhaupt. Kein anderer Politiker gehörte einem deutschen Parlament so lange ununterbrochen an. Nur so am Rande: 2017 hatte Schäuble den bis dahin „führenden“ legendären Arbeiterführer August Bebel überholt…

Bonn, 15.02.1989: Sitzung des Bundeskabinetts: Wolfgang Schäuble, Bundesminister für besondere Aufgaben und Chef des Bundeskanzleramtes

Es gibt wohl im aufgeregten Berliner politischen Getriebe niemanden, der nicht mit großer Anerkennung den Namen Schäuble aussprechen würde. Und zwar bei Freund wie Feind gleichermaßen. Dabei ist der Mann aus dem Südbadischen keiner Auseinandersetzung aus dem Weg gegangen – sofern er sie für notwendig erachtete. Da konnten denn auch schon einmal die Fetzen fliegen. Kaum ein anderer versteht es bis heute so wie er, derart sprach-chirurgisch geschickt mit dem verbalen Skalpell umzugehen. Außerdem – wer kann schon von sich sagen, im Bund bereits Politik gemacht zu haben, als der größte Teil der heutigen Kollegenschaft noch gar nicht auf der Welt war?

Minister, Minister, Minister, Präsident…

Bonn, 05.07.1989: Sitzung des Bundeskabinetts: Foto: v.l.n.r.: Rudolf Seiters, Chef des Bundeskanzleramtes, Wolfgang Schäuble, Bundesinnenminister und Theo Waigel, Bundesfinanzminister ©seppspiegl

Was hatte dieser Mann nicht schon alles für Ämter inne? Sonderminister im Kanzleramt, sogar gleich zweimal Chef des Innenressorts, als Bundesfinanzminister während der weltweiten (vor allem aber europäischen) Finanzkrise international heftigst angegangen und trotzdem entscheidend zur Euro-Rettung beigetragen, Bundestagspräsident… Nicht nur die berühmten „politischen Beobachter“ hatten ihn mehr als einmal auf den Stuhl des Regierungschefs rücken sehen; er sich gewiss ebenso. Dass es nie dazu kam, mag auch auf das Attentat zurückzuführen sein, das am 12. Oktober 1990 während einer Wahlkampfveranstaltung im badischen Oppenau aufihn verübt wurde. Schäuble hat es überlebt und sich mit eisernem Willen und stählerner Disziplin wieder zurückgekämpft, ist allerdings seitdem vom 3. Brustwirbel an abwärts gelähmt und an den Rollstuhl gefesselt bzw. mit dem handbike unterwegs. Entscheidend indessen war jenes seltsame Verhältnis zwischen ihm und Helmut Kohl – ein sowohl fruchtbares als auch zerstörerisches Tandem. Der Pfälzer war dem deutlich jüngeren Badener über lange Zeit nicht bloß Mentor, sondern regelrecht Ziehvater. Und Schäuble diente seinem Herrn treu und ergeben.

Karlsbad, 22.11.1990: Bundesinnenminister Schaeuble im Reha-Zentrum-Langensteinbach: Foto: Wolfgang Schaeuble, sechs Wochen nach dem Attentat, kommt zur Pressekonferenz, rechts Prof. Juergen Harms ©seppspiegl

Doch Ende der 90-er Jahre überschlugen sich die Ereignisse, ohne dass es bis heute wirklich schlüssige Erklärungen dafür gäbe. Immer wieder hatte der „schwarze Riese“ aus Ludwigshafen – mal mehr, mal weniger offen – erklärt, dass Wolfgang Schäuble sein Nachfolger im Parteivorsitz und (bei entsprechendem Wählerwillen) als Regierungschef werden sollte. Doch 1997, auf dem CDU-Parteitag in Leipzig, war keine Rede mehr davon. Im Gegenteil – Kohl kündigte an, 1989 noch mal antreten, es noch einmal wissen zu zu wollen. Und dies, obwohl jedermann klar war, dass für den „Kanzler der Einheit“ der persönliche Zenit längst überschritten war. Als sich der Pfälzer, nach verlorener Wahl, dann auch noch in einer Spendenaffäre verwickelte und sich noch dazu weigerte, die Namen seiner „Gönner“ zu nennen, zerbrach die über lange Zeit geradezu optimal erscheinende Unität des Erfolgsduos Kohl/Schäuble total. Und zwar für immer.

Souverän in Sieg und Niederlage

Bonn, 08.02.1999: CDU-Bundesvorsitzender Wolfgang Schäuble (re) und die CDU-Generalsekretaerin Angela Merkel (li) waehrend einer Pressekonferenz in Bonn.©seppspiegl

Zu den Stärken Schäubles gehört es ohne Zweifel, mit Erfolgen wie Niederlagen gleichermaßen gut umgehen zu können. So nahm er es – scheinbar gleichmütig – hin, dass Angela Merkel karrieremäßig an ihm vorbeizog. Er wäre auch gerne Bundespräsident geworden, Merkel zog den Niedersachsen Christian Wulff vor. Wie man weiß, die falsche Wahl. Wolfgang Schäuble ist dann gerne Bundestagspräsident (und damit immerhin zweithöchster Repräsentant im Staat) gewesen. Aber sein dringendstes Vorhaben, eine deutliche Verkleinerung des zahlenmäßig immer umfangreicher werdenden „hohen Hauses“ gelang ihm nicht. Ist der in früheren Zeiten oft ungeduldige 80-Jährige inzwischen ruhiger, vielleicht altersweise geworden? Darüber würden sich ganz gewiss seine Mitarbeiter freuen. Denn es gibt nicht wenige, welche die Formulierung vehement als „unerlaubte Untertreibung“ bezeichnen würden, Wolfgang Schäuble sei ein netter, umgänglicher Chef gewesen…

 

Gisbert Kuhn ist Journalist und war über viele Jahre innenpolitischer Korrespondent für zahlreiche Zeitungen sowie Mitarbeiter bei Rundfunk und Fernsehen in Bonn und Brüssel

 

FOTOSERIE WOLFGANG SCHÄUBLE:

 

- ANZEIGE -