Weirichs Klare Kante

Dieter Weirich

Eigentlich könnte der kommende Montag (20.01.) mit der Amtseinführung des 47. US-Präsidenten, Donald Trump, ein Festtag der Demokratie werden. Dennoch haben die Regierungsgebäude in Washington, zum Ärger des neuen Staatsoberhauptes, in Erinnerung an seinen kürzlich im Alter von 100 Jahren gestorbenen Amtsvorgänger Jimmy Carter halbmast geflaggt. Eine Revanche des hochanständigen Friedensnobelpreisträgers aus dem Jenseits, der mit dem Sterben noch gewartet hatte, bis er Kamala Harris wählen konnte.

Die deutsche und auch europäische Politik schauen wie das Kaninchen auf die Trump-Schlange, ist der neue Präsident doch eine blackbox, unberechenbar, erratisch und undurchsichtig. Der trotz seiner deutschen Vorfahren nicht gerade „germanophil“ eingestellte Trump ist kein typischer Politiker, sieht sich selbst als Dealer und Makler, Übertreibungen und Lügen gehören zum geschäftlichen Repertoire. Einschüchtern darf man sich von ihm nicht lassen, auch wenn die berechtigte Gefahr besteht, dass er zum Totengräber der Nachkriegsordnung des 20.Jahrhunderts wird.

Eine intelligente, auf Ausgleich und die Wahrung deutscher Interessen ausgerichtete Außenpolitik kann künftig damit umgehen, auch wenn die  transatlantischen Beziehungen  durch  törichte Wahlaufrufe aus der Ampel zugunsten der amerikanischen Demokraten  beschädigt wurden. Wichtig ist nationale Besonnenheit und europäische Geschlossenheit.

Trump hat vor Amtsantritt erste Pflöcke eingerammt. Für ihren Schutz in der NATO sollen die dem Bündnis angehörenden Staaten fünf Prozent ihres Bruttosozialproduktes aufbringen, also mehr als die USA selbst. Zum Schluss könnte sich die Forderung bei 3,5 Prozent einpendeln, was der grüne Kanzlerkandidat Habeck bereits selbst angeregt hat, was aber von Kanzler Scholz als „unausgegoren“ zurückgewiesen und von Sarah Wagenknecht scharf kritisiert wird. Die BSW-Chefin rät, „die Vasallentreue zur USA zu beenden“.

Europa gleicht nach der Wahl Trumps einem aufgescheuchten Hühnerhaufen. Deutschland und Frankreich fallen zur Zeit als Stabilitätsanker aus, einheitliche Strategien bei der Bewältigung des Ukraine-Konflikts, wo sich mit Trump viele Hoffnungen verbinden, sind nicht zu erkennen. De „alte Welt“ steht am Wendepunkt: Neubesinnung auf Einheit oder Spaltung. Es sieht nicht gut aus.

Dieter Weirich (Jg. 1944), gelernter Journalist, kommentiert jede Woche mit spitzer Feder seine Sicht auf das aktuelle Geschehen in rantlos; mit freundlicher Genehmigung der “Zeitungsgruppe Ostfriesland (ZGO)”. Weirich war von 1989 bis 2001 Intendant des deutschen Auslandsrundfunks Deutsche Welle. Zuvor gehörte er eineinhalb Jahrzehnte als CDU-Abgeordneter dem Hessischen Landtag und dem Deutschen Bundestag an, wo er sich als Mediensprecher seiner Partei und als Wegbereiter des Privatfernsehens einen Namen machte. Außerdem nahm er Führungspositionen in der PR-Branche in Hessen wahr. Weirich, der sich selbst als „liberalkonservativen Streiter” sieht, gilt als ebenso unabhängig wie konfliktfreudig.

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