Günter Bannas: „Machtverschiebung“ – ein spannendes Lese- und Geschichtsbuch

Von Gisbert Kuhn

Günter Bannas © privat

Journalisten – gute Berichterstatter jedenfalls – haben sich in aller Regel als Chronisten der ihrer jeweiligen Zeit gesehen. Also als Beschreiber der Welt, der Geschehnisse und der verantwortlichen Akteure so wie diese nun mal halt sind. Und nicht, wie sie in den Augen und nach dem jeweiligen (nicht selten parteilich oder ideologisch gefärbten) Geschmack sein sollten. Diesem – zugegeben veralteten – Berufsbild zufolge müssen vor allem die Fakten stimmen, damit sich die Leser, Hörer und Zuschauer ihr eigenes Urteil bilden können. Die Anhänger und Verfechter dieser Philosophie sind weniger geworden in den vergangenen Jahrzehnten. Aber, zum Glück, es gibt sie noch.

Dem eigenen Anspruch treu geblieben

Günter Bannas (Jahrgang 1952) ist ein solcher. Der langjährige Leiter der FAZ-Parlamentsredaktion (und zwischendurch der Süddeutschen Zeitung) zunächst noch in Bonn und nach dem Umzug von Regierung und Parlament 1999 an die Spree auch in Berlin, ist sich und seinem Anspruch an die berufliche Ethik immer treu geblieben – keine Beteiligung an der medialen Hektik, kein atemloses Hinterherhecheln hinter (nicht selten) inhaltslosen Schlagzeilen oder Gerüchten, kein unreflektiertes Hochjubeln und anschließend gnadenloses Fallenlassen politischer Sterne und Sternchen, kein Mitzündeln an zumeist ohnehin nur kurz aufflackernden Skandal-Strohfeuern, keine Fakten- und Meinungsbeschaffung aus dem Internet. Stattdessen gründliche Recherchen, möglichst viele direkte Kontakte und Gespräche gleichgültig ob mit Politpromis oder Hinterbänklern, ruhiges Nachdenken vor der Kommentierung selbst unter Zeitdruck.

Warum diese Beschreibung? Weil sie nicht nur hinführt zu dem Buch, das Bannas vor kurzem veröffentlicht hat, sondern schon ein Stück Bewertung desselben ist. „Machtverschiebung“ heißt das Werk und schildert, „wie die Berliner Republik unsere Politik verändert hat“. Der Bogen, den der Autor damit schlägt, spannt sich über 30, nicht nur für Deutschland und die Deutschen wichtige, ja eher sogar entscheidende Jahre. Von 1989 bis in unsere Zeit – also vom Ende der DDR (und: der Sowjetunion, des Warschauer Pakts und der kommunistischen Wirtschaftsgemeinschaft COMECON) über die Wiedervereinigung, den politischen Umzug vom Rhein an die Spree bis zum vermutlichen Endzeitbeginn der Ära Merkel mit dem Wechsel des CDU-Vorsitzes auf Annegret Kramp-Karrenbauer und dem Scheitern der Verhandlungen um die Bildung einer schwarz-gelb-grünen „Jamaika-Koalition“ .

Keine bloße Theorie 

„Machtverschiebung“ ist, im besten Wortsinne, ein Lesebuch. Denn hier werden dem Leser der Politikbetrieb, die Regierungsabläufe und die Vorgänge hinter den Parlamentskulissen sowie natürlich auch die handelnden Figuren so beschrieben wie sie sind und sie sich abspielen. Und das bedeutet: Nicht wie sie nicht selten von  Theorien und Ideologien geprägten Seminaren den Studenten vermittelt werden. Wer macht sich als Bürger zum Beispiel Gedanken über die „Macht des Vorzimmers“? Sogar wer es selbst miterlebt hat, findet bei den Schilderungen der „Hahnenkämpfe“ zwischen Gerhard Schröder und Joschka Fischer um die Position des „Alphatieres“ während der rot/grünen Koalition immer noch manche, bis dahin unbekannte, Facette. Insofern ist das Druckwerk zugleich auch ein Geschichtsbuch und damit eine innenpolitische Chronik von drei Jahrzehnten mit enormen Veränderungen und Ansprüchen an die Akzeptanzfähigkeit der Bürger.

 Aber Bannas hat nicht einfach nur erzählt oder gar aufgezählt. Er ordnet vielmehr Abläufe und Geschehnisse klug ein. Für ihn ist nicht der geografisch Wechsel von dem gemütlichen, überschaubaren, allen künstlichen Aufgeregtheiten eher rheinische Gelassenheit entgegen stellenden Bonn ins aufgeheizt-hektische Berlin der Humusboden für die Unterschiede zwischen der „Bonner“ und der „Berliner Republik“. Vielmehr lenkt er – klug und nachvollziehbar – die Aufmerksamkeit auf andere Entwicklungen. Der Autor zitiert den früheren CDU-Generalsekretär und Verteidigungsminister, Volker Rühe, mit dessen Prophezeiung bei der Wiedervereinigung: „Die Republik wird nördlicher, östlicher und protestantischer“. Bannas gibt Rühe Recht, und tatsächlich hat der Verlauf der Geschichte dies ja auch bestätigt.

Neue Parteienlandschaft

Natürlich hat sich Deutschland in diesen 30 Jahren verändert. Die ganze Parteienlandschaft ist durcheinander gewürfelt. Gut, die Grünen spielten bereits in Bonn eine Rolle. Für die Linken als selbsternannte „Ostpartei“ hingegen war Berlin sehr viel mehr politische Heimat als Bonn und das tolerante rheinische Wesen. Und nun auch noch die rechtsnationale „Alternative für Deutschland“, mit der die herkömmliche Politik noch gar nicht klarkommt und an der sich zudem auch noch die Gesellschaft zu spalten droht.

Neue Parteien oder politische Bewegungen kommen nicht von ungefähr. Zumindest nicht in Deutschland. Sie brauchen konkrete Anlässe und auch einen Nährboden. Bannas hat dafür eine ebenso wie interessante und nachvollziehbare These. Er knüpft diese, ja nicht undramatischen, Veränderungen im herkömmlichen Parteienwesen an konkrete Namen und entsprechend auch politische, die Massen bewegende Entscheidungen. Die Grünen, so das Postulat, entstanden in Reaktion auf die Umwelt- und Sicherheitspolitik (Nachrüstung mit atomaren Mittelstreckenraketen); die Linke wurde stark infolge der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik Gerhard Schröders; und die AfD ist in erster Linie das Resultat von Angela Merkels Migrations- und Europapolitik. Machtverschiebung? Aber wie! Nicht zuletzt die Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg waren der Beweis dafür. Günter Bannas hat ein vorzügliches Buch geschrieben. Genaue Beobachtung, kluges Nachdenken und richtiges Einordnen zahlen sich eben aus. Er ist ein Kronzeuge beider Republiken.

 

Günter Bannas, * 1952, studierte Volkswirtschaft, Sozialpsychologie und politische Wissenschaft und arbeitete nebenher beim Deutschlandfunk. 1979 trat er in die Nachrichtenredaktion der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ein, 1981 wurde er nach Bonn entsandt. 1997 und 1998 war er Leiter des Bonner Büros der Süddeutschen Zeitung. Anschließend in Bonn und von 1999 bis 2018 in Berlin hatte er die Leitung des politischen Ressorts im F.A.Z.-Hauptstadtbüro. 2018 erhielt er den Theodor-Wolff-Preis für sein Lebenswerk.

 

 Günter Bannas: „Machtverschiebung. Wie die Berliner Republik unsere Politik verändert hat“

Propyläen Verlag Berlin 2019

336 Seiten

ISBN-13 9783549100042

24 Euro

 

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