Von Günter Müchler

Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten wollen am Puls der Zeit bleiben. Das Zauberwort heißt Vielfalt. Stärker als bisher sollen die Programme die Wirklichkeit einer bunter gewordenen Gesellschaft widerspiegeln. Verheißung oder Drohung? Erwarten uns durchquotierte Panels nach Alter, Geschlecht und Hautfarbe? Dankbar wäre man schon für ein bisschen mehr Meinungsvielfalt.

Autor Günter Müchler

Die neue Selbstverortung ist in einem „Leipziger Impuls“ enthalten, den die Intendanten von ARD, ZDF und Deutschlandradio sowie die Chefs der öffentlich-rechtlichen Sender Österreichs und der Schweiz plus ARTE dieser Tage unterzeichnet haben. Die Good-Will-Erklärung bekennt sich zu einer integrativen Aufgabe, welche – dem Wortlaut zufolge –   „vor allem im Sichtbarmachen und Einordnen der gesellschaftlichen Vielfalt beispielsweise hinsichtlich von Themen, Akteurinnen und Akteuren, Meinungen, Erfahrungen, Werthaltungen und Perspektiven“ bestehe.

Viel Aufsehen hat der „Leipziger Impuls“ nicht geerntet. Verdientermassen. Die Intendanten sagen nichts Neues; sie wickeln in Geschenkpapier, was – wie jedermann hören kann – in den Programmen gang und gäbe ist. Man mag den Öffentlich-Rechtlichen ja einiges anlasten – dass sie die Multikulti-Wirklichkeit ausblendeten, ist ein Vorwurf, den allenfalls chronisch beleidige Minderheiten erheben. Mit Fug und Recht können ARD und ZDF auf eine Personalpolitik verweisen, die „diversity“ groß schreibt.

An exponierter Stelle hat die Präsenz dunkelhäutiger Präsentatoren mit schwer zu memorierenden Namen sprunghaft zugenommen. Auch sind immer mehr Frauen auf den Bildschirmen in tragenden Rollen vertreten. Ein Gewinn, denn die meisten Neuen gehören unzweifelhaft zur Güteklasse eins. Durchwachsener ist das Bild in Talkshows und Diskussionsrunden. Hier wirkt das Bemühen um ausgewogene Besetzung mitunter krampfhaft und wirft dementsprechend keinen Mehrwert ab.

Wer den Öffentlich-Rechtlichen Nachlässigkeit in der Disziplin „Befolgung des Zeitgeistes“ vorhält, ist schief gewickelt. Das beweisen die Mainzer und die Programmacher der Landesrundfunkanstalten Tag für Tag beim Gendern. Also beim verbalen Anhängen des weiblichen „…innen“ an nahezu jedes maskulin klingende Hauptwort, mag es sprachlich passen oder nicht. Keine Programmviertelstunde, ohne dass der Parcours „geschlechtersensibler“ Bekenntnisse mehrfach durchquert würde.

Der Einwand, die Öffentlich-Rechtlichen riskierten nichts, wenn sich ihre Moderatoren im Gebrauch nervtötender Paarformen, schräger Partizipien und störungsähnlicher Glottisschläge abmühten, schließlich könnten Gegner des Genderns nicht finanzwirksam kündigen, beruhigt vielleicht die Aufsichtsgremien, geht aber am Kern der Sache vorbei. Das Gendern ist nicht populär, besonders ältere Nutzer haben etwas dagegen. Der Preis ist also hoch: Indem die Öffentlich-Rechtlichen unbeeindruckt von Protesten zulassen, dass „faire“ Sprache dem regelgerechten Sprechen untergeordnet wird, drohen sie ausgerechnet ihre Hauptkundschaft, die Hörer und Zuschauer über sechzig, zu verprellen.

Der „Leipziger Impuls“ lässt offen, ob ARD, ZDF und die übrigen Anstalten unter Vielfalt mehr verstehen als eine Einstellungsprämie für alle, die nicht mit dem doppelten Malus „weiß‘“ und „männlich“ behaftet sind. In früheren Zeiten hätte man in den Reaktionsstuben der Sender „diversity“wohl mit Meinungsvielfalt übersetzt. Heute wird unter dieser Flagge ein „Antidiskriminierungszuschlag“ für alles eingefordert, was nicht weiß und männlich ist. Meinungsvielfalt?

Von konservativen Kritikern wird gern der Vorwurf erhoben, der Meinungskorridor in den Rundfunkanstalten sei eng, es herrsche ein „Grundton G“, eine Nähe zur Partei der Grünen und ihren Ansichten. Das ist im einzelnen schwer Nachzuweisen. Kaum zu bestreiten dagegen ist ein Übergewicht „weicher“ Themen im Senderalltag. Sozialreportagen, Beiträge über Frauen, Klima, Migranten, Ökolandwirtschaft und andere Themenfelder mit eingebautem Empathie-Faktor gelangen leichter in die Programme als solche, die von den harten, fordernden Seiten der Politik künden.

 Programmschwerpunkt Energiesicherheit? Fehlanzeige. Programmschwerpunkt militärische Sicherheit? Ebenfalls Fehlanzeige. Der grüne Bundestagsabgeordnete Toni Hofreiter war nicht der einzige, der lernen musste, dass Haubitze keine bedrohte Vogelart ist. In den Redaktionen sind Fachleute für Sicherheitspolitik schon lange vom Aussterben bedroht.

Man darf gespannt sein, ob die durch den russischen Überfall auf die Ukraine eingeleitete „Zeitenwende“ auch die öffentlich-rechtlichen Programmplaner erreicht. Der „Leipziger Impuls“ lässt jedenfalls nicht darauf hoffen. Er atmet eindeutig den Geist von gestern.

Dr. Günther Müchler ist Journalist, Politik- und Zeitungswissenschaftler, war viele Jahre Korrespondent in Bonn und zum Schluss Programmdirektor beim Deutschlandfunk.

 

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