Von Günter Müchler

Autor Günter Müchler

Das trikolore Berliner Bündnis ist anständig in die Gänge gekommen. Der Antritt war blitzsauber. Keine Streitereien im Verhandlungsprozess, keine Durchstechereien, Zeitplan eingehalten. Summa summarum hat die Ampel ein Startkapital gesammelt, das beachtlich ist. Aber Erfolgsgeschichten werden nicht im Zauber des Anfangs geschrieben, sondern in den Mühen der Ebene.

Noch fällt es schwer zu glauben, dass der Kanzler Olaf Scholz heißt und die Union in der Opposition sitzt. Sicher, Olaf Scholz ist nicht der erste SPD-Kanzler, sondern der vierte. Doch ist die Geschichte der Bundesrepublik überwiegend von Christdemokraten geschrieben worden. In 52 von 72 Jahren stellte die CDU den Regierungschef. Gemessen an den Dauerläufern Konrad Adenauer (14 Kanzlerjahre), Helmut Kohl (16) und Angela Merkel (noch einmal 16) wirken die Amtszeiten von Scholz‘ Vorgängern Brandt, Schmidt und Schröder episodenhaft.

„Wir haben alle Bock auf die Koalition“. Die Selbstauskunft von Lars Klingbeil, gegeben am Beginn der Koalitionsverhandlungen, gilt auch noch wenige Tage nach der Kanzlerwahl. Das Bemühen, Aufbruchstimmung zu erzeugen, ist unverkennbar. Die Körpersprache signalisiert Entschlossenheit und Durchsetzungswillen. Der Kontrast zu den letzten Merkel-Jahren, die von Krisenverwaltung gekennzeichnet waren, wird bewusst hergestellt. Bei dem Bemühen wird es nicht bleiben können. Taten müssen den Anspruch rechtfertigen. Und hier setzen die Zweifel an.

Sie beginnen bei den kleinen Koalitionspartnern. Grüne und FDP haben viele Jahre fleißig ihre Gegnerschaft gepflegt. Jetzt wollen sich die Erzfeinde vereint in den Dienst eines nicht näher bezeichneten Fortschritts stellen. Wie soll das gehen? Und dann der Kanzler! Olaf Scholz ist kein unbeschriebenes Blatt. Als Vize Angela Merkels hat er die letzten Jahre, die jetzt als bleierne Zeit hingestellt werden, an prominenter Stelle mitbestimmt. Zuvor setzte er unter dem Kanzler Gerhard Schröder als Generalsekretär der SPD die Hartz-Rreformen durch. Vergessen haben ihm die Genossen, die die Schröder-Zeit inzwischen als Unfall verdrängen möchten, das nicht. Konsequent ließen ihn die Mitglieder bei der Wahl zum Parteivorsitzenden Scholz durchfallen; ganze zwei Jahre ist das her.
Diese zwei Jahre, die seither verflossen sind, wirken rückblickend wie eine Fahrt in der Geisterbahn.

Die längste Zeit galt die SPD als abgeschrieben. Die Präsentation eines Kanzlerkandidaten wurde müde belächelt. Ein Wahlsieg der Union schien unvermeidlich, infrage gestellt allenfalls durch die Grünen. Wie Ikarus, der die Annäherung an die Sonne mit einem Absturz büßte, bezahlte die Ökopartei für ihre Hoffahrt mit der Rückstufung auf Normalmaß. Die Union fiel aus allen Wolken – es siegte die SPD und wusste selbst nicht, was ihr geschah. „Wunderheilung“ hat der Politologe Karl-Rudolf Korte den Wiederaufstieg der SPD genannt. Ein Wunder ist auch die Metamorphose des Olaf Scholz zur Lichtgestalt.

Für die Herausforderungen, vor denen die neue Regierung steht, bedarf es mehr als des Wunderglaubens. Der Regierungswechsel fällt in die Zeit einer internationalen Dauerkrise mit zahlreichen Krisenherden. Die Corona-Pandemie ist nicht besiegt. Putin zündelt in Osteuropa. Chinas Geltungssucht kennt keine Grenzen. Der Westen hat auch nach Trumps Ausscheiden seine Stabilität nicht wiedergefunden.

Von der Berliner Regierung werden klare Positionsbestimmungen verlangt. Wie steht Deutschland zur Gasleitung Nord-Stream 2? Welchen sicherheitspolitischen Beitrag wird Deutschland leisten, damit der Ruf nach europäischer Selbstbehauptung kein Lippenbekenntnis bleibt? Wie soll die Migrationspolitik aus der Sackgasse herauskommen? Wie sollen die Klimaziele erreicht werden, ohne die Sicherheit der Energieversorgung zu riskieren?

Jede dieser Fragen birgt Zündstoff, weil die Ampel-Partner von unterschiedlichen und teilweise widersprüchlichen Positionen herkommen. Denktraditionen müssen angepasst, ideologische Bastionen geschleift werden. Sonst wird die Regierung, die so flott gestartet ist, bald vor der roten Ampel stehen.

 

Dr. Günther Müchler ist Journalist, Politik- und Zeitungswissenschaftler, war viele Jahre Korrespondent in Bonn und zum Schluss Programmdirektor beim Deutschlandfunk.

 

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