Die Verrückten mit Benzin im Blut
Motorrad-Rennfahrer und ihre Fans – ein verschworener Haufen
Von Gisbert Kuhn

Nein, diese Runden jetzt nicht zu fahren, wäre für ihn nie infrage gekommen. Für nichts auf der Welt. Soeben ist Rolf Steinhausen wieder von der Piste gekommen, hat sein Busch-König-BSA2-Gespann in der Box abgestellt und berichtet mit blitzenden Augen. Mit praktisch nur einer Hand am Lenker habe er den Rundkurs hier in der „Arena“ von Oschersleben bewältigen müssen. Denn, dummerweise, sei er kürzlich gestürzt und habe sich drei Rippen angeknackst, sowie Verletzungen am Genick und am linken Arm zugezogen. „Und das auch noch mit dem Fahrrad, stellt Euch das mal vor!“ Man weiß nicht so recht, schwingt da Empörung mit, oder klingt es einfach nur lustig. Steinhausen und Fahrrad! Der mittlerweile 77-Jährige aus dem oberbergischen Nümbrecht war schließlich einer der weltweit besten Motorrad-Fahrer in den 70-er und den 80-er Jahren des vorigen Jahrhunderts. Zweimal Gespann-Weltmeister, 10-facher Grandprix-Sieger, zweimal Deutscher Seitenwagenmeister und dreimal TT-Sidebike-Gewinner. Einer aus der Reihe der erfolgreichen deutschen Teams, die seinerzeit insgesamt 22 Mal ganz oben auf dem Treppchen standen. Damals, als noch Hunderttausende an die Rennstrecken strömten, in denen es bis in die obersten Ränge nach Sprit und Abgasen roch und der unten auf dem Asphalt erzeugte sirrende, knatternde oder donnernde Lärm einem das eigene Wort nicht mehr verstehen ließ.
Noch immer für Ratschläge gut

Den Besuchern von heute (den meisten zumindest) gelten die Champions von einst noch unverändert als Helden. Das erfährt auch Steinhausen immer, wenn er im Fahrerlager umherschlendert oder durch die Reihen der Wohnmobile und schweren Sattelzüge spaziert, mit denen die einzelnen Rennteams aus ganz Deutschland, aber auch der Schweiz, Belgien, Holland, Frankreich, Luxemburg, der Tschechischen Republik oder sonst wo aus Europa in das nahe der sachsen-anhaltinischen Hauptstadt Magdeburg gelegene Oschersleben angereist sind. Hier ein „Hi, Rolf“, dort ein „Wie geht´s, alter Junge?“. Nicht selten auch die Bitte um einen technischen oder organisatorischen Rat. Für den Mann aus dem Oberbergischen ist das normal: „Ich habe Ende er 90-er zwar nach 25 Rennjahren die Stiefel an den Nagel gehängt. Aber das heißt doch nicht, dass ich aufgehört habe, für diesen Sport zu leben“. Wer Benzin im Blut habe, könne nicht „auf dem Sofa sitzen“. Zumal inzwischen auch einer seiner Söhne erfolgreich Seitenwagenrennen fährt.
Die tollkühnen Rennfahrer auf ihren (je nach Dreh- und PS-Zahl) in hohen Tönen sirrenden oder ein paar Oktaven tiefer donnernden Maschinen, egal ob Zweirad oder mit Beiwagen – sie wären wahrscheinlich ohnehin ein Völkchen für sich. Aber da sind dann ja auch noch die Fans. Ohne die würde gewiss etwas ganz Wichtiges fehlen. Keine kreischenden, vollbusigen Groupies oder muskelbepackte Kerle. Sondern ganz normale Frauen und (natürlich überwiegend) Männer im zumeist mittleren Alter. In aller Regel auch nicht gerade unterernährt. Eben Leute, so wie du und ich. Allerdings sollte der auf diesem Gebiet vielleicht selbst ein wenig unbedarfte Zeitgenosse eher nicht das Thema Motorrad oder Rennen anschneiden. Denn was dann aus der Fan-Szene an Spezialwissen, an Motorendetails, an Marken- und Hersteller-Spezifika auf ihn herniederstürzen würde, wäre vermutlich gewaltig.
Kein Weg zu weit und zu beschwerlich

Fans also, wie die „Motorradsport-Freunde Oberberg“ aus dem Oberbergischen. „Angezogen von Motorrädern“, beschreiben sie sich selbst, und außerdem „Süchtig nach Motorsport” und „Begeistert von Rennfahrern“. Ihr Idol ist natürlich Rolf Steinhausen. Und um Rennen zu erleben, ist den Männern und Frauen in ihren blauen Westen kaum ein Weg zu weit oder zu beschwerlich – ob zum Grandprix im Motodrom im tschechischen Brünn, zum Großen Preis in spanischen Jerez oder eben die nur fast 500 Kilometer im Bus nach Oschersleben in der Magdeburger Börde. Seit 1997 existiert dort die „Arena“, eine von fünf ständig betriebenen Rennpisten in Deutschland. Bis Kriegsende waren auf dem Terrain Kampfflugzeuge für die Wehrmacht gebaut worden. Jäger wie die Me 109 oder die FW 190, insgesamt ungefähr 4000 Stück. Logisch, dass die Stadt und die Werkshallen bevorzugte Ziele alliierter Bomber waren.
Mit der in zwei Jahren für 58 Millionen Euro geschaffenen „Arena“ sind in der etwa 20 Kilometer südlich von Magdeburg gelegenen 20 000-Einwohner-Stadt nicht nur die Trümmer des Krieges verschwunden. Die schmucke Anlage mit ihrer etwas mehr als 3,5 Kilometer langen und mit 14 – teilweise schwierigen – Kurven versehenen Piste und integriertem Hotel ist ganz ohne Zweifel eine Attraktion, ein Anziehungspunkt, in einer Gegend, wo in den umliegenden Dörfern erkennbar die Landschaft noch nicht so recht zu blühen begonnen hat. Die Investition scheint sich zudem auch wirtschaftlich gelohnt zu haben. Denn, so berichten jedenfalls kundige Zeitgenossen, die Oscherslebener „Arena“ sei gegenwärtig die einzige der fünf in Deutschland permanent aktiven Rennstrecken, die keine roten Zahlen schreibe.
Sammler und Mäzen

Einer der Gründe dafür trägt allerdings auch einen Namen: Jürgen Röder. Nun gut, der Reisebus-(und wohl noch mehr) Unternehmer aus Berlin, der eigentlich im südhessischen Offenbach zuhause ist, hält den Laden in der sachsen-anhaltinischen Kleinstadt nicht allein am Laufen. Aber er trägt in gewiss nicht unerheblichem Maße dazu bei – als Mäzen und Sponsor. Röder ist, berichten wenigstens alle, die ihn kennen, wohlhabend. Manche sagen auch „richtig reich“. Und er ist ganz offensichtlich, total Rennsport verrückt. Zum Beispiel wären ohne sein Engagement die zur offiziellen Internationalen Deutschen Meisterschaft zählenden zwei Renntage von Oschersleben unlängst gar nicht zustande gekommen. Mit dem Busreise-Unternehmen „Bonovo Tours“ im Rücken sponsort er ein eigenes Team, dem – neben anderen – der achtfache Weltmeister im Beiwagen-Fahren, Tim Reeves, angehört.
Das ist allerdings nur die eine Seite der Röder-Aktivitäten. Seine eigentliche Leidenschaft gehört den „Gespannen“, die heute „sidecars“ heißen, den meisten Zeitgenossen jedoch wohl immer noch unter „Seitenwagen“ ein Begriff sind. Angeblich war er einmal sogar mit seiner Frau im Beiwagen durch Afrika gefahren. Zwar fördert Röder heute natürlich Teams, deren moderne „Geschosse“ mit ihrer windschnittigen Raketenform, der Motoranbringung direkt unter der Brust des Piloten und dem breiten Hinterrad kaum noch etwas mit den Motorrad-Kombinationen von einst gemein haben. Aber seine Liebe gilt dem Sammeln hochmotorisierter „Dreiräder“, die sich bereits im Veteranen-Alter befinden, aber zu “ihrer Zeit” Rennpiloten zu WM-Ehren befördert haben. Jedenfalls gerät jeder ins Schwärmen, der die Sammlung gesehen hat.
Randsportart und Wiederbelebung

In dieser Kollektion befinden sich auch einige Gefährte, mit denen einst Rolf Steinhausen Siege errungen und Pokale eingefahren hatte. Und genau hier knüpft die Geschichte wieder am Anfang an. Denn der jetzt 77-Jährige Ex-Weltmeister aus dem Oberbergischen verkaufte dem rennbesessenen Geschäftsmann von der Spree nicht nur seine eigenen, bis dahin wie Augäpfel gehüteten, Dreirad-Oldies, sondern auch noch das eigene Reise- und Busunternehmen, das er sich im Lauf der Jahre aufgebaut hatte. Was die beiden im Prinzip so unterschiedlichen Männer vor allem vereint, ist die Hoffnung (besser: der Glaube daran), dass mit gutem Management, finanziellem Polster im Rücken, vernünftiger Nachwuchsförderung und Unterstützung durch die Medien es gelingen werde, die über die Jahre mehr und mehr an den Rand gedrückte Sportart Seitenwagen-Rennen wieder populär zu machen. So beliebt, wie es einst der Fall war, als Hunderttausende an den Nürburg-, Sachsen- oder welchen Ring auch immer strömten, um ihren Idolen zuzujubeln.
HIER GEHTS ZUR FOTOSTRECKE OSCHERSLEBEN:
Schreibe einen Kommentar