Die Spur der geraubten Bilder
In Bonn und Bern: Erstmals ist die „Gurlitt“-Sammlung öffentlich
Von Gisbert Kuhn
Diese Ausstellungen, nahezu zeitgleich in Bonn und Bern eröffnet, werden Publikumsmagnete sein. Um das vorherzusagen, braucht es keiner seherischen Fähigkeiten. Nicht, weil die Exponate von derart sensationeller Qualität wären, auch nicht wegen der Auflistung ihrer extraordinären Schöpfer. Nein, die Neugier wird entfacht durch einen Namen – Gurlitt. Genau vor vier Jahren hatte der „Focus“ vom „Schwabinger Kunstfund“ berichtet, der bereits im März 2012 bei einer Durchsuchung der Wohnung des Münchener Kunsthändlers Cornelius Gurlitt sichergestellt worden war. Es handelte sich um rund 1400 Werke aus der Hinterlassenschaft von Cornelius´ Vater Hildebrand, einer der schillerndsten Figuren der Kunstszene sowohl vor als auch nach dem Krieg.
Gerüchte um den „Milliardenschatz“
Seitdem hat es um den angeblichen „Milliardenschatz“ unendlich viele Spekulationen gegeben, Gerüchte, Kommuniqués und Memoranden, Beschuldigungen und Verteidigungen, Einschätzungen und Erbstreitigkeiten. Nun aber sind sie, zum ersten Mal, zu sehen – die lange Zeit versteckten Gemälde, Zeichnungen, Grafiken, Dokumente; rund ein Drittel der seinerzeit von der Staatsanwaltschaft beschlagnahmten Asservate aus den Wohnungen von Gurlitt (Sohn) in München und Salzburg. Dabei haben die Bundeskunsthalle in Bonn und das Kunstmuseum Bern eine Teilung vereinbart: In der schweizerischen Hauptstadt werden rund 200 Exemplare der von den Nationalsozialisten verbotenen „Entarteten Kunst“ gezeigt, wohingegen die Bonner Veranstalter sich der „Beutekunst“ angenommen haben. Also jener Werke, die – nicht nur, aber vor allem – verfolgten Juden gestohlen oder für billiges Geld abgepresst bzw. (teilweise auf direkte Anweisung Hitlers) aus den besetzten Ländern ins „Reich“ geschafft worden waren. Außerdem hat man sich am Rhein um den Museumsintendanten Rein Wolfs der Verpflichtung verschrieben, Erben der rechtmäßigen Besitzer zu ermitteln und – wenn möglich – das geraubte Gut zurückzugeben.
Aus diesem Grund sollte die Aufmerksamkeit der Ausstellungsbesucher gleichermaßen in zwei Richtungen gehen. Da sind, einmal, die Exponate selbst. Und da sind, zweitens (aber nicht weniger wichtig), die mit ihnen verbundenen, oft genug tragischen, Geschichten. Mit anderen Worten: Jedes Bild symbolisiert gleichsam ein eigenes menschliches Schicksal. Von den ursprünglich einmal etwa 250 als „raubkunstverdächtig“ bewerteten Bildern unterliegen mittlerweile nur noch 53 diesem Verdacht. Ganze sechs allerdings erst konnten eindeutig als geraubt identifiziert und den Nachkommen der ursprünglichen Besitzer zurückgegeben werden. „Der NS-Kunstraub und die Folgen“ ist der Titel der Ausstellung in Bonn. Ob diese Folgen allerdings jemals wenigstens einigermaßen vollständig aufgeklärt werden können, ist eher zweifelhaft. „Wir sind mit der Forschung spät dran“, sagt denn auch Kunsthallen-Intendant Wolfs. Es gebe vor allem Probleme mit der Herkunftsklärung aus der NS-Zeit, „denn viele Akten sind nicht mehr vorhanden, einige sind bewusst weggeschafft worden“.
Die Rolle des Hildebrand Gurlitt
Es ist nie enträtselt worden, warum Cornelius Gurlitt rund 40 Jahre lang ein veritables Einsiedlerleben nur mit seinen 1 400 Bildern geführt hat. Als er am 6. Mai 2014 im Alter von 81 Jahren starb, nahm er das Geheimnis mit ins Grab. Aber er sorgte zugleich noch für eine faustdicke Überraschung. Denn einen Tag nach seinem Ableben gab die Stiftung Kunstmuseum Bern bekannt, testamentarisch als Alleinerbin eingesetzt worden zu sein. Ein Einspruch dagegen von Gurlitts Cousine Uta Werner (unterstützt von dem in Spanien lebenden Fotografen und Großcousin Ekkeheart Gurlitt) scheiterte vor dem zuständigen Gericht.
Doch die Schweizer zierten sich und verknüpften die Annahme des Geschenks mit einer Bedingung: Bern übernimmt nur die Werke, die frei sind vom Raubkunstverdacht. Der mehr oder weniger problematische Rest solle weiter in Deutschland „beforscht“ werden. Deshalb wird auch jetzt an der Aare aus Gurlitts Beständen die „Entartete Kunst“ gezeigt. Die dort versammelten etwa 160, nach Stilgruppen geordneten, Arbeiten reichen vom Expressionismus bis zum Verismus, vom Blauen Reiter zum Bauhaus, von Käthe Kollwitz zu Edvard Munch, von Beckmann bis Nolde. Alles Werke, die in den 30-er Jahren in deutschen Museen beschlagnahmt wurden und in Gurlitts Obhut gelangten. Währenddessen fiel den Bonnern die Aufgabe zu, den Rest der Sammlung mit ihren vielen losen Enden darzustellen und gleichzeitig daran das System des Nazi-Kunstraubs zu erläutern. Und damit rückt – obwohl längst nicht mehr unter den Lebenden – die eigentlich zentrale Figur in den Fokus: Cornelius´ Gurlitts Vater Hildebrand.
Vom Fan der Moderne zum Vasallen Hitlers
Diese Person allein wäre schon eine exemplarische Ausstellung wert. Hildebrand Gurlitt avancierte in den Dreißigerjahren und auch noch während des Krieges zu einem der wichtigsten persönlichen Kunstberater und –händler Hitlers. Und das, obwohl er im Grunde seines Herzens ein glühender Fan der modernen Malerei war und blieb. Diese Vorliebe hatte ihn sogar nacheinander die Direktorenposten in Zwickau und Hamburg gekostet. Alle, die ihn kannten, bezeugen, er sei kein Nazi gewesen. Aber er hatte offensichtlich auch keine Skrupel, zum Nutznießer der NS-Kulturpolitik zu werden. So war er der Hauptbeteiligte am „Sonderauftrag Linz“ – jener Organisation, die (Hitler direkt unterstellt) für ein „Führermuseum“ an der Donau Kunstwerke besorgen sollte. In diesem Zusammenhang hielt er sich seit Ende 1940 häufig in Frankreich, Holland und Belgien als Aufkäufer auf, wo seine „Kunden“ fast immer Juden waren, die ihren Kunstbesitz in aller Regel zu Schleuderpreisen kapitalisieren mussten, um sich vor den deutschen Besatzern – vielleicht – in Sicherheit bringen zu können. Die Bonner Schau enthält auch dazu erschütternde Beispiele.
Hildebrand Gurlitt war wie ein Chamäleon – er vermochte sich offensichtlich allen Gegebenheiten anzupassen, und seien sie auch noch so widrig. Es gelang ihm und seiner Familie – unter Mitnahme eines großen Teils seiner Sammlung – mit einem Lkw aus Dresden vor den Russen nach Franken zu fliehen. Als die Werke von Amerikanern beschlagnahmt und nach Wiesbaden gebracht wurden, bekam er sie unter Hinweis auf seine jüdischen Wurzeln, den Job-Verlust in Hamburg und Zwickau wegen seiner Leidenschaft für die Moderne und dergleichen wieder frei. 1948 ernannte man ihn gar zum Direktor des Düsseldorfer Kunstvereins. 1956, nach einem Verkehrsunfall, starb Hildebrand Gurlitt 61-jährig. Seine Rolle als Händler und Beschaffer von geraubten und erpressten Kunstschätzen hat ihm offensichtlich nicht geschadet.
Richtig verstanden, kann vor allem die Bonner Ausstellung der Sammlung Gurlitt in doppelter Weise eine Aufgabe erfüllen. Sie präsentiert Kunst. Aber sie vermittelt zugleich auch ein wichtiges Stück deutscher Geschichte. Gewiss, Kunstraub hat es zu allen Zeiten und überall gegeben. Zeugnisse davon finden sich in nahezu sämtlichen bedeutenden Museen und auf vielen Plätzen. Aber noch nie war der Raub mit so vielen dramatisch verlaufenen Schicksalen verbunden.
Titelfoto: Thomas Couture (1815-1879) Portrait einer jungen Frau, 1850
Allgemeine Informationen:
Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland
Friedrich-Ebert-Allee 4
53113 Bonn
Tel: 0(49)228 9171-0
www. bundeskunsthalle.de
Dauer der Ausstellung 3. November 2017- 11. März 2018
Öffnungszeiten: Di u. Mi. 10 – 21 h
Do. – So. 10 – 19 h
Feiertags 10 – 19 h
Freitags für angemeldete Gruppen und Schulklassen ab 9 h geöffnet
Montags geschlossen
- 12. Geschlossen
- 12. 20 – 16 h
Eintritt regulär / ermäßigt / Familienkarte 6 € / 3,90 € / 9,60 €