Die letzte Ausfahrt
Weirichs Klare Kante
Es reicht. Das scheint die Botschaft der deutschen Wähler an die Ampel zu sein. Umfragen zufolge will eine absolute Mehrheit der stimmberechtigten Bundesbürger sofortige Neuwahlen, zwei Drittel glauben aber nicht daran.
Der betörende Duft der Macht ist in der Regel bekanntlich zwar größer als die Einsicht in das eigene Unvermögen, doch werden seit Jahresbeginn hinter den Kulissen (nicht nur in der FDP) Ausstiegsszenarien von der Vertrauensfrage bis zu einer zeitlich befristeten Minderheitenregierung erörtert. Gerüchte besagen, Bundeskanzler Scholz habe in einem Privatissimum über den Fall des Falles sogar schon mit Oppositionsführer Merz geredet
Wer freilich aussteigt, braucht einen starken Grund und ein tragendes Thema für Neuwahlen. Die letzte Ausfahrt wäre der Etat-Streit, danach kommt die parlamentarische Sommerpause, und dann ist man bereits in der heißen Phase der ostdeutschen Landtagswahlen.
Die SPD will nicht länger den lammfrommen Kanzlerwahlverein spielen. Sie hat Scholz für die Haushaltsverhandlungen unter Druck gesetzt. Finanzminister Lindner (FDP) besteht zwar auf der Schuldenbremse, steht aber wegen der schlechten Konjunktur einem Nachtragshaushalt für das laufende Jahr wegen nicht eingeplanter Mehrausgaben positiv gegenüber. Das wären elf Milliarden Euro neuer Schulden, die allerdings zu erheblichen Teilen für die deutlich teureren Aufwendungen für den Ökostrom gebraucht werden.
Die rot-grünen Kabinettsmitglieder sind der Auffassung, dass die solide schwäbische Hausfrau in modernen Staatshaushalten ausgedient habe. Verteidigungsminister Pistorius stellt die Praktikabilität der Schuldenbremse in Frage, die vor fünfzehn Jahren geschaffen worden sei und nicht mehr in die Zeit passe.
Vorsichtige Konzessionsbereitschaft gibt es in diesen Tagen bei den Koalitionspartnern. So will Lindner die zentralen Sicherheitsbereiche von Einsparungen ausnehmen, bei der SPD scheint man einzusehen, dass trotz aller Bekenntnisse, keine sozialen Abstriche vorzunehmen, beim Bürgergeld Änderungen erforderlich sind. So soll Schwarzarbeitern das Bürgergeld künftig ganz gestrichen werden.
Der Regierungschef mahnt bei seinen Partnern Teamgeist wie bei der Fußballnationalmannschaft an. Einen Matchplan bleibt er allerdings schuldig.
Dieter Weirich (Jg. 1944), gelernter Journalist, kommentiert jede Woche mit spitzer Feder seine Sicht auf das aktuelle Geschehen in rantlos; mit freundlicher Genehmigung der “Zeitungsgruppe Ostfriesland (ZGO)”. Weirich war von 1989 bis 2001 Intendant des deutschen Auslandsrundfunks Deutsche Welle. Zuvor gehörte er eineinhalb Jahrzehnte als CDU-Abgeordneter dem Hessischen Landtag und dem Deutschen Bundestag an, wo er sich als Mediensprecher seiner Partei und als Wegbereiter des Privatfernsehens einen Namen machte. Außerdem nahm er Führungspositionen in der PR-Branche in Hessen wahr. Weirich, der sich selbst als “liberalkonservativen Streiter” sieht, gilt als ebenso unabhängig wie konfliktfreudig.
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