Der Weg zur deutschen Einheit (IV)
Vertrauen zwischen den Mächtigsten der Welt und Durchbruch im Kaukasus
Von Wolfgang Bergsdorf
Präsident George Bush (Vater) und seine Regierung haben von Anfang an tatkräftig und ohne jeden Vorbehalt den Einigungsprozess der Deutschen unterstützt und keinen Zweifel daran gelassen, dass die Wiedervereinigungsrhetorik früherer Jahre auch in der neuen Lage nicht nur leeres Gerede sein durfte. Das persönliche Vertrauensverhältnis zwischen Bush und Bundeskanzler Helmut Kohl ließ nicht den geringsten Zweifel an der Aufrichtigkeit der gegenseitigen Versicherungen und Zusicherungen aufkommen. Kohl hat nicht eine Sekunde daran gezweifelt, dass der amerikanische Präsident zu seinen Verpflichtungen aufgrund des Deutschlandvertrages stehen würde. Und der amerikanische Präsident konnte sicher sein, dass die deutsche Regierung unter keinen Umständen mit der Idee spielen würde, aus der Gemeinsamkeit des Atlantischen Bündnisses herauszusteuern. Bush hat dem deutschen Bundeskanzler in dieser so wichtigen Phase der außenpolitischen Absicherung des Einheitsprozesses den Rücken freigehalten.
Gorbatschow glaubt Bush
Vor allem konnte George Bush Präsident Gorbatschow Ende Mai 1989 in Washington davon überzeugen, dass die Vereinigten Staaten keinerlei Absicht hätten, die inneren Probleme der UdSSR zu nutzen, um sich Vorteile zu verschaffen. Auch diese Gewissheit war eine ganz wichtige Voraussetzung für die Öffnung der sowjetischen Politik in der deutschen Frage.
Mit der Entschließung von Bundestag und Volkskammer am 21. Juni über die endgültige Bekräftigung der Oder-Neiße-Grenze als unverletzlicher Westgrenze Polens gegenüber dem vereinten Deutschland gelang die außenpolitische Absicherung des Einigungsprozesses in einem zentralen, für Deutschland schmerzhaften, für die Zukunft Europas jedoch Frieden stiftenden Punkt. Die gemeinsamen Entschließungen der frei gewählten, demokratisch legitimierten Parlamente in Bonn und Ost-Berlin brachten damit den politischen Willen des deutschen Volkes zum Ausdruck, um den Preis eines endgültigen Verzichtes auf die Gebiete jenseits von Oder und Neiße die Einheit der Nation wiederzuerlangen. Mit dem dann später, am 14. November, unterzeichneten Vertrag über die Bestätigung der zwischen Deutschland und Polen bestehenden Grenze hat sich schließlich die stets eindeutige, völkerrechtlich abgesicherte Haltung des Bundeskanzlers durchgesetzt, allein einem frei gewählten gesamtdeutschen Souverän die Macht einzuräumen, verbindlich die Unverletzlichkeit der Oder-Neiße-Grenze zu garantieren.
Die Telefonleitungen glühen
Ein entscheidendes Stück des Weges zur deutschen Einheit ist damit von den Regierungen und Parlamenten in beiden Staaten Deutschlands gemeinsam gegangen worden. Dies setzte eine intensive Kooperation zwischen der Bonner und der Ost-Berliner Regierung auf allen Ebenen ebenso voraus wie eine enge Abstimmung zwischen den beiden Parlamenten. Dass die Telefonleitungen zwischen Ost-Berlin und Bonn wie auch die Transportmittel zwischen den Hauptstädten unter der Überlast nicht kollabierten, war nur der Improvisationskunst der Bundespost und der Bundeswehr zu verdanken.
Wenige Tage nach dem 1. Juli begannen in Ost-Berlin die Verhandlungen zum zweiten Staatsvertrag, dem so genannten Einigungsvertrag, dessen Konditionen und – besonders – Umsetzungen das herrschende innenpolitische Thema der nächsten Wochen bleiben würde. Es galt, unter äußerstem Zeitdruck für alle Felder des öffentlichen Lebens Vereinbarungen zu treffen, welche die in den 40 Jahren der Teilung entstandenen Unterschiede zwischen den bundesdeutschen Bestimmungen und den Regelungen in der DDR überwanden und gleichzeitig gangbare Lösungen zu schaffen in den Fragen, bei denen die Übernahme der westdeutschen Bestimmungen zu Unzumutbarkeiten und Ungerechtigkeiten für die Bevölkerung der DDR geführt hätten.
Die SPD muss zustimmen
Während der ersten Hälfte des Jahres 1990 war die Bonner Regierung durch ihre außenpolitischen Aktivitäten stärker in Anspruch genommen worden als durch innenpolitische Auseinandersetzungen. Dies änderte sich grundlegend mit dem Beginn der Verhandlungen über den Einigungsvertrag, der die Zustimmung der SPD benötigte.
Dem Bundeskanzler gelang es in diesen Nächten mithilfe vor allem des bundesdeutschen Unterhändlers, dem damaligen Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble, Einvernehmen in der Koalition und Kompromisse zwischen Koalition und SPD über die strittigen Elemente des Einigungsvertrages herzustellen. Dieser regelt auf tausend (!) Schreibmaschinenseiten und hunderten Seiten Anlagen alle wesentlichen Probleme und Streitfälle. Der Einigungsvertrag konnte am 31. August von Schäuble und dem seinerzeitigen Ost-Berliner Unterhändler, Staatssekretär Günter Krause, unterzeichnet werden. Bundestag und Volkskammer verabschiedeten nun den Vertrag mit der erforderlichen qualifizierten Mehrheit gegen die Stimmen der PDS (heute Die Linke) und der Grünen am 20. September 1989.
Probleme in Ost-Berlin
In dieser dritten Phase des deutschen Einigungsprozesses kam es zu einer sach- und zielorientierten Kooperation zwischen der Regierung einerseits sowie dem Bundestag und Bundesrat als der Länderkammer andererseits. Parlament und Länder – und damit auch die Opposition in Bonn – waren von Anfang an in den Einigungsprozess eingeschaltet, ohne dass damit die Verantwortlichkeit der Exekutive verwischt worden wäre.
In Ost-Berlin hingegen gestaltete sich die Zusammenarbeit der Parteien mit dem Näherrücken des Tages der deutschen Einheit immer schwieriger. Im Juli traten die Liberalen aus der Regierung von Lothar de Maizière aus, weil in der Ost-Berliner Koalition keine Einigung über den Wahlmodus erzielt werden konnte. Im August verließen die Sozialdemokraten die Regierung und beraubten de Maizière damit der regierungsfähigen Mehrheit.
Durchbruch im Kaukasus
Trotzdem – obwohl in dieser Phase die innenpolitischen Diskussionen dominierten, konnte die außenpolitische Absicherung des Einigungsprozesses vollendet werden. Den Durchbruch erzielte Bundeskanzler Kohl bei seinem Besuch im Kaukasus. Er erhielt die Zusicherung Gorbatschows, dass das vereinte Deutschland seine volle Souveränität erhalten werde und danach auch frei über seine Bündniszugehörigkeit entscheiden könne. Diesem Erfolg der deutschen Diplomatie war der – schwierige – NATO-Sondergipfel Anfang Juli in Brüssel vorangegangen, auf dem die NATO dem Warschauer Pakt die „Hand zur Freundschaft“ hingestreckte, alle NATO-Mitglieder die Einigung Deutschlands begrüßten und dessen Mitgliedschaft in der westlichen Allianz wünschten.
Gorbatschow konnte aber zugleich auch auf das Engagement Helmut Kohls bauen, sich gemeinsam mit dem damaligen französischen Präsidenten François Mitterrand auf dem EG-Gipfel in Dublin und dann beim Wirtschaftsgipfel in Houston/Texas für die wirtschaftliche und finanzielle Zusammenarbeit der westlichen Industriestaaten mit der UdSSR einzusetzen. Die sowjetische Führung war nach diesen Ergebnissen davon überzeugt, dass konstruktive Beziehungen zwischen den USA und Deutschland nicht zu ihrem Nachteil gereichen würden. Sondern im Gegenteil: Dass Deutschlands Einheit in Freiheit der Sowjetunion einen europäischen Partner verschaffen würde, auf dessen Berechenbarkeit und Kooperationsbereitschaft Verlass war. Am 12. September wurde deshalb in Moskau der Zwei-plus-Vier-Prozess abgeschlossen, und 14 Tage später vereinbarten Ostberlin und Moskau, dass mit Wirkung vom 3. Oktober 1990 die Mitgliedschaft der DDR im Warschauer Pakt erlischt.
Der Traum der Deutschen erfüllt sich
Die fugenlose Synchronisation der innen- und außenpolitischen Aktivitäten, die ungeheure und fast unübersehbare Fülle des Regulierungsbedarfes, der von den Menschen in der DDR verursachte Zeitdruck haben den Entscheidungsträgern in Bonn und Ostberlin, den Politikern, Diplomaten und Beamten ihr Äußerstes an Konzentration, Improvisation und Imagination abverlangt. Das Ergebnis war Lohn genug. Der Traum der Deutschen, in Einheit und Freiheit zu leben, wurde am 3. Oktober 1990 erfüllt.
Fortsetzung folgt
Prof. Dr. Wolfgang Bergsdorf (Jahrgang 1941) ist nicht nur Politologe, sondern war, unter anderem als Mitglied von Helmut Kohls so genanntem „Küchenkabinet“, jahrelang selbst aktiv am politischen Geschehen beteiligt. Zudem war Bergsdorf in der Regierungszeit Kohls Leiter der Inlandsabteilung des Bundespresseamtes und anschließend Chef der Kulturabteilung des Bundesinnenministeriums. 1987 war er zum außerplanmäßigen Professor für Politische Wissenschaften an der Bonner Universität ernannt worden. Von 2000 bis 2007 amtierte er als Präsident der Universität Erfurt.
Teil (I): https://www.rantlos.de/politik/der-weg-zur-deutschen-einheit.html
Teil (II): https://www.rantlos.de/politik/der-weg-zur-deutschen-einheit-ii.html
Teil (III): https://www.rantlos.de/politik/der-weg-zur-deutschen-einheit-iii.html
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