Weirichs Klare Kante

Dieter Weirich

„Do ut des“. Diese drei lateinischen Worte kennzeichnen die Reformunfähigkeit der Ampel. „Ich gebe, damit Du gibst“, lautet das Prinzip für den Glauben, für das eigene Zugeständnis eine Gegenleistung zu erhalten. Oft entsteht aber, wie bei den jüngsten Beschlüssen zur Altersvorsorge, eine ungenießbare Mixtur aus Konservierung sozialdemokratischen Betons und halbgaren liberalen Reformanflügen.

Da die Öffentlichkeit schon froh ist, wenn sich das zerstrittene Berliner Parteien-Trio überhaupt bewegt, fielen die Urteile über das neue Rentenpaket, das keine Lösung für eine unter dem Druck der Überalterung stehende Gesellschaft darstellt, eher gnädig aus. Dabei hätte das Thema eine mit dem Kampf gegen den Klimawandel vergleichbare Mobilisierung der jungen Generation verdient. Denn diese muss die Kosten der ebenso bequemen wie kurzsichtigen politischen Verantwortlichen tragen

In dem neuen Gesetzentwurf wird das Rentenniveau bis zum Jahr 2040 auf 48 Prozent des aktuellen Durchschnittslohns eines Arbeitnehmers, der 45 Jahre Rentenbeiträge eingezahlt hat, festgeschrieben. Eine Anhebung des Renteneintrittsalters wird es allerdings trotz gestiegener Lebenserwartung nicht geben. Dafür jedoch werden zwangsläufig die zur Zeit 18,6 Prozent des Lohns ausmachemden Rentenbeiträge steigen.

Dieses Mantra der SPD schluckend, darf FDP-Chef Lindner sich als Wegbereiter der Aktienrente feiern. Die Kapitaldeckung ist sicherlich ein wichtiger und richtiger Schritt, doch sind die Milliarden-Investitionen geplanter Vermögenswerte nur ein Tropfen auf den heißen Stein und tragen nur wenig zur Senkung der Beitragssätze bei.

Der Ampel fehlt der Mut zur Anhebung des Renteneintrittsalters, zur Abschaffung der abschlagsfreien Frührente und zum Angebot von Anreizen für ältere Menschen, im Rentenalter weiter zu arbeiten. Unheilvoll ist besonders die Rolle, die der einer geistigen Bewegung offensichtlich unfähige Arbeitsminister Hubertus Heil dabei spielt.

Das „Do-ut-des“-Prinzip bestimmte schon das Elend der Rentenpolitik der einstigen Großen Koalition. Statt Reformen anzugehen, einigte man sich auf Leistungsausweitungen. Die SPD setzte für ihre Klientel die abschlagsfreie Rente mit 63 nach 45 Versicherungsjahren durch, die CSU revanchierte sich mit der Mütterrente. Beides kam den Versicherten und auch Steuerzahlern teuer zu stehen.

Dieter Weirich (Jg. 1944), gelernter Journalist, kommentiert jede Woche mit spitzer Feder seine Sicht auf das aktuelle Geschehen in rantlos; mit freundlicher Genehmigung der “Zeitungsgruppe Ostfriesland (ZGO)”. Weirich war von 1989 bis 2001 Intendant des deutschen Auslandsrundfunks Deutsche Welle. Zuvor gehörte er eineinhalb Jahrzehnte als CDU-Abgeordneter dem Hessischen Landtag und dem Deutschen Bundestag an, wo er sich als Mediensprecher seiner Partei und als Wegbereiter des Privatfernsehens einen Namen machte. Außerdem nahm er Führungspositionen in der PR-Branche in Hessen wahr. Weirich, der sich selbst als „liberalkonservativen Streiter” sieht, gilt als ebenso unabhängig wie konfliktfreudig.

 

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