Weirichs Klare Kante

Dieter Weirich

Die unlängst verstorbene „Unions-Legende“ Wolfgang Schäuble wollte Angela Merkel nicht in die Galerie der großen deutschen Kanzler Konrad Adenauer, Willy Brandt, Helmut Schmidt und Helmut Kohl aufnehmen. Eine „abschließende Debatte“ werde den Platz der Ex-Regierungschefin in der deutschen Geschichte noch zu klären haben.

Mit dem Abschied aus dem hohen Amt beginnt oft eine Verklärungsphase. Merkel, die am kommenden Mittwoch (17.Juli) ihren 70. Geburtstag feiert, erfreute sich im Gegensatz zum jetzigen Kanzler zwar großer Beliebtheit, wird aber mittlerweile in der Rückschau zunehmend kritisch gesehen.

Die Liste historischer Versäumnisse und Fehler in der sechzehnjährigen Merkel-Ära ist lang: Die Fortsetzung der fahrlässigen, pazifistischen deutschen Sicherheitspolitik trotz Putins Annexion der Krim 2014, das Kaputtsparen der Bundeswehr, die totale energiepolitische Abhängigkeit vom Kreml, die Grenzöffnung 2015 mit dem anschließenden Kontrollverlust bei der Migration und, nicht zuletzt, auch der opportunistische Abschied von der Kernkraft.

Fehleinschätzungen hat Angela Merkel nie eingeräumt, in ihren am 26. September erscheinenden Lebenserinnerungen will sie ihren Kurs, den sie immer für alternativlos hielt, erklären. Merkel ist nach ihrer Kanzlerschaft zu ihrer Partei, der CDU, auf Distanz gegangen. Sie nimmt an keinem Parteitag teil, aus der Konrad-Adenauer-Stiftung hat sie sich zurückgezogen, dafür würdigte sie den Grünen Jürgen Trittin bei seinem Abschied aus dem Bundestag. Kann man sich demonstrativer von der eigenen Familie abwenden?

Jetzt hat sich die Partei mit Merkel, allerdings mit zeitlicher Verzögerung, auf einen versöhnlichen Geburtstagsempfang geeinigt, bei dem ein Kunsthistoriker spricht. Beim 50. Wiegenfest war es ein Hirnforscher. Was ihr Verhältnis zur Merkel angeht, so hat sich die Union in der Aufarbeitung ihrer Regierungszeit nie ehrlich gemacht, waren doch viele Vasallen in Partei und Fraktion auf den diversen Irrwegen mit von der Partie.

Im neuen CDU-Grundsatzprogramm werden die Unterschiede zur früheren Regierungszeit zwar deutlich, zu einer selbstkritischen Auseinandersetzung mit der Vergangenheit ist die Opposition aber nicht bereit. So versucht der unbefleckte  CDU-Chef Merz, einer besonderen Sympathie für Merkel völlig unverdächtig, den Spagat. Versöhnung durch lobende Worte, denen freilich andere Taten folgen müssen.

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